Campari auf Eis

Erschienen am: 26.03.2016


Klappentext

„Du hast Recht! Ich bin froh, dass es vorbei ist!“, schleuderte sie mir gnadenlos entgegen. „Jeder andere Mann ist besser als du!“

Sie tat es schon wieder. Eiskalt zerdrückte sie mein Herz zwischen ihren zierlichen Fingern. Die übriggebliebenen Reste waren zu keinerlei Emotion mehr fähig.

Ich nahm das angenehm kühle Glas von der pochenden Stelle oberhalb meines Auges, setzte es an den Mund und leerte den Drink mit zwei kräftigen Schlucken, dann stellte ich es geräuschvoll auf den Tisch.

„Ich weiß“, sagte ich tonlos. „Schließ die Tür hinter dir, wenn du gehst.“

 

Etwa 300 Meilen liegen zwischen verwirrenden Gefühlen. Elizabeth und Jack – die Geschichte geht weiter. Kompliziert, sinnlich, emotional.

 

 

Band 2 - Fortsetzung von Campari?


! Die Leseprobe beinhaltet Spoiler zu Band 1 !

Leseprobe

Wolkenbruch

Jack

 

Die Umgebung nahm ich kaum wahr. Ich konzentrierte mich auf die kurvige Straße und das angenehme Gefühl, das sich von meinem Rücken aus durch meinen gesamten Körper verteilte. Elizabeth war bei mir. Nur das zählte.

Hoch über der Stadt, am Ende des befahrbaren Weges, drosselte ich die Maschine und hielt an. Ich wartete, bis sie hinter mir runter geklettert war, dann stieg ich selbst ab. Es fühlte sich seltsam an, nicht allein an dieser Stelle zu stehen. Bisher war ich noch nie in Begleitung an diesem Ort der Stille gewesen und doch hatte ich das dringende Bedürfnis, mein persönliches Stück Himmel mit ihr teilen zu wollen.

„Ich würde dir gerne was zeigen.“

Sie legte ihre Hand vertrauensvoll in meine. Ich leitete sie an Bäumen und dichten Sträuchern vorbei über den unebenen, natürlichen Boden.

„Und? Was sagst du?“, fragte ich, nachdem wir das letzte Hindernis überwunden hatten.

Nebeneinander standen wir auf dem staubigen Felsvorsprung, von dem eine unglaubliche Ruhe ausging. Bis auf den Wind und das Rauschen der Bäume war nichts zu hören, vom Lärm der lebendigen Stadt unter uns keine Spur.

„Von hier oben kannst du alles überblicken und direkt neben uns …“, erklärte ich, während ich auf den Abgrund zuging und nach links deutete. „… befinden sich die neun Buchstaben, die die Welt bewegen.“

Ein kurzer Seitenblick auf die kleine Schönheit genügte, um zu sehen, dass sie total überwältigt war.

„Wow!“, stieß sie leise hervor.

Ungesehen lächelte ich in mich hinein, ließ ihre Hand los und setzte mich auf einen Felsbrocken, der erhaben auf dem Vorsprung thronte.

Der traumhafte Ausblick spielte in diesem Moment keine Rolle. Vielmehr war ich damit beschäftigt, Elizabeth zu beobachten und mich dabei nicht allzu sehr von ihrem süßen Arsch ablenken zu lassen.

„Ich dachte, du würdest mich zu irgendeinem …“

Es war immer wieder herrlich, wie sie versuchte, um den heißen Brei herumzureden und es vermied, die Dinge beim Namen zu nennen. Deswegen beendete ich auch diesmal den Satz für sie.

„… Knutsch- und Fummel-Treffpunkt bringen?“

Mit einem verhaltenen Nicken bestätigte sie meine Aussage. Langsam kam sie auf mich zu und setzte sich neben mich.

„Ja“, flüsterte sie. „Sowas in der Art.“

„Traust du mir wirklich so wenig Stil zu, Beauty?“

„Nein, … andererseits … manchmal …“

„Ich sagte doch, ich halte mich an unsere Absprache.“

Obwohl es mir verdammt schwer fällt, den Kumpel zu spielen …

Elizabeth schwieg einen Moment, bevor sie das Gespräch in eine andere Richtung lenkte.

„Woher hast du eigentlich die Shorts mit dem dezenten Aufdruck?“

Ich schmunzelte.

„Ein Geburtstagsgeschenk der Jungs.“

„Zum nächsten Geburtstag sollten sie noch deine Telefonnummer unter den Namen setzen lassen.“

Ein lautes Lachen löste sich aus meiner Kehle.

„So schlimm?“

„Nicht schlimm, aber offensichtlich.“

„Wieso?“

„Es unterstreicht, worauf du aus bist.“

„Worauf bin ich denn aus?“

„Abschleppen um jeden Preis.“

Nein, das bin ich nicht …

„Ist es denn so verwerflich, Spaß zu haben?“, fragte ich ernst.

„Ist es nicht zu oberflächlich, ausschließlich Spaß zu haben?“

„Miss Hunter, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, aber Sie stecken voller Klischees und Vorurteile.“

„Tu ich nicht, ich b …“

„Doch, tust du“, widersprach ich ihr.

„Ich habe also einen falschen Eindruck von dir.“

„Jep!“

„Glaube ich nicht!“

Ich grinste versöhnlich.

„Lassen wir das, es führt zu nichts. Irgendwann wirst du hoffentlich erkennen, dass du total falsch liegst.“

„Und was dann?“

„Dann?“ Ich geriet ins Stocken, als ich eine ihrer endlos langen Haarsträhnen zwischen den Fingern zwirbelte. Alles an ihr war unglaublich weich. „Wirst du dich wohl bei mir entschuldigen müssen.“

… und vielleicht einsehen, dass ich ein Risiko wert bin …

Es war schwer, mich auf etwas anderes als sie zu konzentrieren. Ihre dunkel glänzenden Augen, ihre geschwungenen Lippen und ihr unwiderstehlicher Duft, der mich immerzu verleiten wollte, die unsichtbare Grenze zwischen uns zu überschreiten, waren Fluch und Segen gleichermaßen.

Der Ausläufer einer Böe ließ mich aufatmen und lenkte mein Augenmerk auf ihre Schultern. Ein Blatt hatte sich in den dünnen Trägern ihres Tops verfangen.

„Du hast da was.“ Ich entfernte das Grünzeug und sah dabei zu, wie es vom Wind davon getragen wurde. Eine willkommene, wenngleich kurze Ablenkung. „Erzähl mir noch mehr von dir, Beauty.“

Ich lächelte, wie ich es immer tat, wenn sie bei mir war.

„Eigentlich weißt du bereits alles über mich, aber ich weiß überhaupt nichts von dir.“

Sie hatte Recht. Wir hatten in letzter Zeit zwar oft miteinander geredet, doch sie wusste nichts von mir, außer, dass Brandon mein Bruder war, dass ich im Zimmer nebenan wohnte, vorzugsweise Campari trank und – was Frauen anging – einen hohen Verschleiß hatte.

„Okay.“ Ich rückte näher, legte den Arm auf ihre Schulter und spielte mit ihren Haaren. Aus einem mir unerklärlichen Grund wollte und musste ich sie fühlen. „Was willst du wissen?“

Sie wirkte genauso nervös, wie ich es war.

„Alles?!“

Ich lachte verhalten. Das war so typisch Frau.

„Wir sind in South Dakota aufgewachsen.“

„Ihr alle?“

Ich nickte.

„Ja, die anderen Chaoten auch, außer Emilia.“ Für einen Moment büßte ich meine Leichtigkeit ein. Die Jungs, Leann und ich hatten eine harte Zeit erlebt, die uns auf besondere Weise verband. „Hast du schon mal was von der Pine Ridge Reservation gehört?“

„Nein …“

„Keine Jobs, viele Suchtkranke, hohe Selbstmordrate. Das ganze Programm im schlechtesten Sinne. Es gibt auf jeden Fall schönere Orte, an denen man aufwachsen kann.“

Wie zum Beispiel eine beschauliche Reihenhaussiedlung in Oakland. Normalität hatten wir uns alle gewünscht, wobei wir nicht mit der direkten Problematik konfrontiert worden waren. Unsere Eltern zählten zu den finanziell besser gestellten Familien, die durchaus ihre Zelte hätten abrechen können. Doch Verwandte und Freunde zu verlassen, ohne zu wissen, was sie anderenorts erwartete, dazu waren sie bis heute nicht fähig.

Die kleine Schönheit hatte mit meinen Worten zu kämpfen. Obwohl sie seit einiger Zeit in unserer Mitte lebte, wäre ihr wahrscheinlich nie in den Sinn gekommen, dass wir es anfangs schwer hatten.

„Seid ihr, also Brandon und du, indianischer Abstammung?“, fragte sie, nachdem sie sich von dem negativen Aha-Moment erholt hatte.

„Auch.“ Unser Familienstammbaum war selbst für mich total verwirrend. Väterlicherseits hatte sich niederländisches mit deutschem und amerikanischem Multikultiblut vermischt, mütterlicherseits war indes indianisch-mexikanisch-französisches Genmaterial beigesteuert worden. Das Ergebnis: mein Bruder und ich. Wer sollte da durchblicken?! „Aber nicht nur. Wir tragen ziemlich viel europäisches Einwandererblut in uns. Bei Sean und Leann verhält es sich ähnlich. Phil, Ryan und Paul sind waschechte Natives.“

Vom langen Reden hatte ich einen trockenen Mund bekommen. Ich befeuchtete meine Lippen und stellte fest, dass sich Elizabeths Hand auf meinem Bein befand.

„Tschuldigung.“

Sie wollte sie wieder zurückziehen, doch ich hinderte sie daran.

„Lass nur, Beauty.“ Mit dem Daumen strich ich über ihren weichen Handrücken. „Ich mag es, wenn du das machst.“

Sie sagte nichts, räusperte sich stattdessen verhalten und lächelte verlegen, bevor sie auf den Ausgangspunkt zurückkam.

„Und … wieso Rat Pack?“

Ich klärte sie darüber auf, wie und warum wir zu dem Namen gekommen waren. Im Grunde hatte es nur daran gelegen, dass wir ständig zusammenhingen und Brandon, seit ich denken konnte, ein Faible für Frank Sinatra hatte.

„Klingt nach einer für alle und alle für einen.“

„Ja.“ Meine Finger verwoben sich mit denen der kleinen Schönheit. „Und so ist es bis heute geblieben.“

Sie wurde nervös, doch ich ließ mich nicht davon beirren und redete weiter. Elizabeth erfuhr in allen Einzelheiten, wie es dazu gekommen war, dass wir Pine Ridge letztendlich verlassen hatten. Meine ausführliche Erzählung endete damit, dass der alte VW-Bus für eine Handvoll Dollar in unseren Besitz übergangen war.

„Das Blümchenmobil?“, hakte sie nach.

Ich schmunzelte bei der Erinnerung an die schockierten Gesichter, als Leann uns damals mit zwei tropfenden Spraydosen in der Hand und etlichen leeren zu ihren Füßen voller Stolz ihr Werk präsentiert hatte.

„Ja, das bunte Ungetüm.“ Mein Daumen bewegte sich neuerlich über ihren weichen Handrücken. „Wobei ich zur männlichen Ehrenrettung sagen muss, dass die farbenfrohe Lackierung und der Kunstrasen auf Frauenhand zurückzuführen sind. Das hat Leann verbrochen.“

„Kunterbunte Blumen hätte ich euch auch nicht zugetraut.“

„Das beruhigt mich.“

„Und wie kommt es, dass ihr ausgerechnet hier gelandet seid?“

Ich verdrehte die Augen.

„Wieder Leann. Sie hatte die glorreiche Idee, blind auf eine Landkarte zu tippen.“

„Habt ihr unterwegs eine Bank überfallen?“

Ich lachte.

„Wieso?“

„Ohne Jobs das Appartement zu finanzieren, stelle ich mir schwierig vor.“

„Ach deswegen … wir leben erst seit knapp zwei Jahren am Melrose. Vorher hat es lediglich für einen Wohnwagen unten im Valley gereicht und es war die Hölle.“ Innerlich stöhnte ich auf. Aller Anfang war bekanntlich schwer und unserer dazu noch verdammt eng. „Fünfzehn Quadratmeter sage ich nur.“

Die kleine Schönheit wirkte amüsiert, das war unschwer zu erkennen.

„Immerhin habt ihr es überlebt.“

„Aber nicht, dass du jetzt denkst, ich wollte auf Mitleid machen, weil ich einen holprigen Start ins Leben hatte.“

Ich grinste in mich hinein.

„Nein, denke ich nicht.“

„Gut.“

„Du meinst, wegen meiner … klischeebehafteten Vorurteile?“

„Hum, genau deswegen …“

Ich neigte den Kopf, um sie besser ansehen zu können. Ein schöneres Bild hätte ich mir in diesem Moment nicht vorstellen können.

„Du tust es gerade wieder“, sagte sie leise.

„Was?“

„Mich verunsichern.“

„Ich sehe dich einfach gerne an, Beauty.“

Sie wurde verlegen. Mit einem Hüsteln versuchte sie es zu überspielen, ihre schwache Stimme verriet allerdings, was wirklich in ihr vorging.

„Kann … chäm … könntest du … vielleicht …“

Glaub mir, wenn das so leicht wäre, hätte ich es schon lange abgestellt.

„Nein, ich kann nichts dagegen tun und es ist ganz sicher keine Masche, um dich rumzukriegen. Es passiert einfach …“

Ich fühlte mich so stark von ihr angezogen, dass ich sämtliche Freundschaftsregeln missachtete. Meine Hand verselbstständigte sich, ließ von ihrem seidig weichen Haar ab und bewegte sich zu Elizabeths Nacken. Ich schluckte nervös, befeuchtete meine Lippen und kam ihr Millimeter um Millimeter näher.

Die kleine Schönheit hielt den Atem an und senkte ihre Lider.

Ein unerwarteter Donnerschlag, dicht gefolgt von einem beeindruckend großen Blitz, zerstörte den zerbrechlichen Augenblick. Ich stand auf und zog sie automatisch mit von dem Felsbrocken.

„Wir müssen gehen. Hier oben ist mit Gewittern nicht zu spaßen.“

Es sah nach einem üblen Wolkenbruch aus. Äußerlich blieb ich ruhig, beeilte mich jedoch, Elizabeth schnellstmöglich nach Hause zu bringen. Mit jeder Urgewalt, die sich über uns entlud, spürte ich ihr ängstliches Zucken in meinem Rücken. Obwohl es mir gefiel, dass sie sich eng an mich schmiegte und ihre Arme fest um meinen Bauch schlang, war ich froh, als ich endlich zum Melrose Place abbog. Dumm nur, dass kurz vor dem Appartementkomplex genau das geschah, was ich bereits oben auf dem Berg befürchtet hatte – Wassermassen schossen aus den dunklen Gewitterwolken. Wir waren nass bis auf die Knochen, als der Motor erstarb.

„Shit!“

Die kleine Schönheit schien der Wetterumschwung im Gegensatz zu mir überhaupt nicht zu stören. Sie stieg ab, und während ich die Maschine sicherte, bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie sie sich einmal um sich selbst drehte, bevor sie lachend den Schutz des Torbogens suchte.

Als ich fertig war und mich umdrehte, sah ich sie mit dem Rücken zur Wand stehen und vergaß darüber fast das Gewitter. Langsam ging ich auf sie zu und verinnerlichte den Anblick. In ihrem Gesicht lag dieses geheimnisvolle Lächeln – Mona Lisas Lächeln - und aus ihrem langen Haar tropfte Wasser, in unzähligen Rinnsalen lief es an ihrem Körper hinab. Das Top, vom Regen durchsichtig wie ein Schleier, spannte sich einer zweiten Haut gleich über ihre üppige Brust.

Freunde – sonst nichts …

Es war hart, doch irgendwie schaffte ich es, ihre weiblichen Reize auszublenden und mich für den unverhofft feuchten Ausflug zu entschuldigen.

„Tut mir leid. Ich hatte gehofft, ich könnte dich trocken nach Hause bringen.“

Dennoch gelang es mir nicht, den Blick von ihrem Shirt fernzuhalten, unter dem deutlich violette Unterwäsche durchschimmerte. Ihr Atem, der mir ungleichmäßig entgegenschlug, machte mir die ganze Sache nicht leichter. Ich war kurz davor, die Kontrolle zu verlieren.

„Du musst dich nicht entschuldigen“, flüsterte sie leise. „Ich mag den Regen und … ich mag … dich …“

Elizabeths Worte trafen mich mitten ins Herz. Selbst wenn sie nicht dasselbe ausdrückten, was ich für sie empfand, hatte ich damit nicht gerechnet.

Einatmen. Ausatmen. Nichts überstürzen. Konzentrier dich auf die Backsteine hinter ihr …

Mit einem Lächeln kam ich der kleinen Schönheit näher und strich behutsam die nassen Haare aus ihrem Gesicht.

„Lass uns reingehen, Beauty.“

Ich musste weg. Sofort. Keine Minute länger konnte ich mit ihr zusammen sein, ohne eine Dummheit zu begehen. Kritisch beobachtete ich den Himmel und nahm ihre Hand. Es grollte laut, dann schlug ein Blitz durch die Wolken. Unmittelbar danach rannte ich los, doch Elizabeth stoppte in ihrer Bewegung, unsere Hände glitten auseinander und ich stand allein zwischen Tor und Pool.

Dicke Tropfen trommelten auf mich ein, während ich unschlüssig den Kopf senkte und zu Boden blickte. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Obwohl ich tief im Innern wusste, warum sie mir nicht gefolgt war, bekam ich mit einem Mal eine Scheißangst, etwas falsch zu machen. Einen geräuschvollen Atemzug später sah ich wieder auf und drehte mich um.

Willst du das wirklich?

Mein Körper bebte. Adrenalin jagte durch meine Venen und durchbrach sämtliche Zweifel an dem, was sie wollte, denn es war genau das, wonach ich mich schon so lange sehnte. Ein Wimpernschlag und ich stand vor ihr. Sie keuchte leise auf.

„Ich werd nicht schlau aus dir, Lizzy.“

Mit dem Zeigefinger hob ich ihr Kinn und sah sie an, als ob ich in ihrem Blick eine Antwort auf meine stumme Frage finden konnte. Aber da war nichts. Nur die bedrohlichen Blitze und mein Gesicht spiegelten sich in ihren dunkelbraunen Augen wider. Das Beben meines Körpers verstärkte sich.

„Küss mich …“, flüsterte sie.

Unschuldig und gleichermaßen sinnlich stand sie vor mir. Wassertropfen an den dichten Wimpern und auf ihrer Haut. Zärtlich strich ich mit dem Daumen über ihre Lippen, ihr angenehmer Atem traf auf meinen und dann entlud sich, was sich vor Wochen nach dem Barbecue im Pool zwischen uns aufgebaut hatte.

Ich küsste sie, wie ich noch nie zuvor eine Frau geküsst hatte. Hemmungslos, entfesselt, voller Verlangen. Elizabeth sollte fühlen, wie sehr ich sie wollte, wissen, dass sie kein schnelles Abenteuer für mich war und dass ich fähig war, zu lieben – sie zu lieben – nicht nur körperlich, auch mit meinem Herzen und meiner Seele.

Die kleine Schönheit vergrub ihre Finger in meinem Nacken und zog mich derart fest an sich, dass ich Angst bekam, ihr mit meiner ungebremsten Körpergewalt wehzutun. Aber sie ließ nicht locker, wollte mich so ungeschliffen, wie ich war. Ungezügelt drückte ich sie gegen die grobe Wand, ergriff ihren Oberschenkel und presste ihn an meine Hüfte. Ich hatte nicht genug Hände und Lippen, um sie überall gleichzeitig anfassen und küssen zu können. Trotzdem versuchte ich, mir so viel von ihr zu nehmen wie ich konnte, da ich nicht wusste, ob sie sich wieder zurückziehen würde. Hätte sie es in diesem Moment getan, wäre ich auf der Stelle tot umgefallen.

Es knisterte dermaßen heftig zwischen uns, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob die gewaltigen Blitze mit dem Gewitter einhergingen oder von unseren unter Starkstrom stehenden Körpern freigesetzt wurden. Elizabeth zog mir das Shirt über den Kopf, es landete klatschend in einer riesigen Pfütze, die sich unterhalb des Torbogens gebildet hatte. Ihr Top flog direkt hinterher. Als ich ihre festen, lediglich von einem Stofffetzen bedeckten Brüste vor mir hatte, stand ich kurz vor einer Explosion und in diesem Moment wurde mir klar, dass Gott ein Mann sein musste. Obgleich es einige Frauen gab, die gerne das Gegenteil behaupteten.

Ich verlor die Bodenhaftung, konnte nicht sagen, wie ich es aufrecht über den Innenhof schaffte, ohne auf die Knie zu fallen und ihr sabbernd hinterherzukriechen – sie hatte mich endgültig am Haken, genau, wie Brandon es prophezeit hatte.

Während ich intensiv mit ihrem Bauch beschäftigt war und versuchte, den regennassen Knopf ihrer Pants zu öffnen, blieben die Schuhe der kleinen Schönheit auf der Treppe zurück. Kurz darauf knallte ich mit dem Hinterkopf gegen die Appartementtür. Hart, aber nicht hart genug, um wieder zur Besinnung zu kommen und als sich Elizabeth an meinem Gürtel zu schaffen machte, erlitt ich einen vollständigen Kontrollverlust.

Im Flur zerrte ich das Gummiband aus ihren Haaren. Meine Hände verschwanden in ihrer dunklen Mähne, und egal, wie heftig es auf dem Weg durch die Küche auch klirrte und schepperte, ich konnte nicht aufhören, sie zu küssen. Als es mir endlich gelang, ihren süßen Arsch aus den Hotpants zu befreien und ihn fest umfasste, war ich nur noch imstande so flach zu atmen, dass die nötigsten Körperteile mit Sauerstoff versorgt wurden.

Minimal bekleidet landeten wir im Gang zu unseren Zimmern. Zwischen den Türen fand ich, abgelenkt von der zarten Haut ihres Halses, notdürftig die Sprache zurück.

„Zu dir oder zu mir?“

„Zu …“

Sie redete nicht weiter.

„Alles frisch bezogen …“

Meine Mundwinkel zuckten an ihrem Schlüsselbein, ich konnte mir denken, wie sie darauf reagierte. Zu meinem Erstaunen blieb sie gefasst. Ganz cool ergriff sie den Bund meiner Shorts und lotste mich mit heißen Küssen in mein Zimmer.

Ich trat die Tür hinter uns zu. Es war dunkel, nur der schwache Schein einer Laterne und die gleißenden Blitze erhellten den Raum minimal. Nervös war kein Ausdruck für meinen Zustand, während ich den Verschluss ihres BHs öffnete.

Elizabeth erschauerte. Verführerischer denn je stand sie vor mir. Das lange Haar bedeckte teilweise ihre Blöße und ihr Atem ging schnell. Behutsam zeichnete ich die Konturen ihrer feinen Gesichtszüge nach. Ich konnte immer noch nicht fassen, dass die Eisschicht um sie herum geschmolzen war. Und doch gab es etwas, das meine Stimmung trübte. Selbst auf die Gefahr hin, dass sie hier und jetzt beendete, was uns beide in den Ausnahmezustand versetzte, musste ich ihr gestehen, dass ich bald nach Salinas aufbrechen würde.

„Lizzy, ich … bevor wir … ich muss dir noch was sagen.“

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein verdammt mieses Timing hast, Jack?“

Ich lachte leise. Mir war klar, worauf sie anspielte.

„Aber es ist wich…“ Ihre Hand glitt in meine Shorts und machte mich augenblicklich mundtot. „…tig.“

„Nicht jetzt …“, wisperte sie.

„Und wann?“

Sie zog mich an sich.

„Später …“

Ich küsste sie. Kurz. Süß. Zärtlich. Tausendfach. Dabei drängte ich sie immer weiter zurück, bis zu meinem Bett. Als ich über ihr war, stöhnte sie leise auf. Unsere Blicke verbanden sich sekundenlang miteinander, dann schloss ich die Augen und ließ mich einzig und allein von meinen Emotionen leiten.

Es war viel mehr als nur Sex. Es war überwältigend, es war anders, es war, als würde ich zum ersten Mal in meinem Leben mit einer Frau schlafen. Elizabeths Atem ging schneller, unsere Küsse wurden leidenschaftlicher, fordernder. Kein Dirty Talk, keine laut gestöhnten Regieanweisungen, die auf einen raschen Höhepunkt abzielten und zu Höchstleistungen antrieben – es herrschten ausschließlich Gefühl und das aufregende Spiel unserer Körper, die sich gerade kennenlernten, aber in nahezu perfekter Harmonie miteinander agierten und ineinander verschmolzen, als ob sie seit jeher darauf gewartet hätten, einander zu begegnen. Yin und Yang. Es gab keinen Anfang, es gab kein Ende.

 

Obwohl ich nicht zu den ‚Roll-runter-und-schlaf-ein-Typen‘ zählte, blieb ich nie lange wach. Diesmal war es trotz der nachtschlafenden Zeit anders. Die kleine Schönheit lag seitlich neben mir, den Kopf in meine Halsbeuge gekuschelt, einen Arm auf meinem Brustkorb, ein Bein angewinkelt auf meinen Oberschenkeln, und schlief friedlich vor sich hin. Mit jedem Atemzug berührte ihre nackte Brust meinen Rippenbogen und ihr Duft – pudrig mit einer dezenten Vanillenote – erfüllte den gesamten Raum. Alles fühlte sich verwirrend fremd an, war neu für mich und ich hatte wahnsinnigen Schiss, Elizabeths Erwartungen nicht gerecht werden zu können.

So etwas wie Unsicherheit kannte ich normalerweise nicht, aber mit ihrem Einzug war von jetzt auf gleich nichts mehr normal gelaufen. Schleichend hatte sie sich zu meiner Achillesferse entwickelt, dem verletzlichsten Punkt, der mich zu Fall bringen konnte, ob ich wollte oder nicht – dagegen war ich total machtlos.

 

Mein erster Gedanke am Morgen galt Elizabeth. Mit einem Lächeln im Gesicht stellte ich fest, dass sie immer noch neben mir lag. Ihre Stirn war gegen meinen Rücken gedrückt, ihre Hand ruhte an meinem Bauch. Möglichst vorsichtig schälte ich mich aus ihrer Umarmung und stand auf. Bevor das Gerede richtig losging, wollte ich zumindest versuchen, die Spuren unseres spontanen Gefühlsausbruchs zu beseitigen.

Gähnend schlüpfte ich in frische Shorts und schlich aus dem Zimmer. In der Küche war – außer dem Chaos, das wir hinterlassen hatten – niemand zu sehen. Im gesamten Appartement herrschte Stille, wobei ich mir keine Illusionen machte, dass die Klamotten im Hof und das zerbrochene Geschirr unentdeckt geblieben waren.

Auf dem Weg nach draußen fand ich das Haarband und einige Armreifen. Elizabeths Schuhe lagen auf der Treppe, einer auf der dritten, der andere auf der zweiten Stufe. Ich hob alles auf, durchquerte den Innenhof und fischte unsere Shirts aus der mittlerweile geschrumpften Pfütze. Genau in diesem Moment kam Ryan um die Ecke, er hatte Brötchen und Donuts besorgt.

„Hast du vergangene Nacht Cinderella gevögelt?“

Er lachte. Sein Blick heftete sich auf die Schuhe in meiner Hand.

„Wen sonst?! Und als sie sich um Mitternacht in einen Kürbis verwandelt hat, hab ich vor lauter Frust die Küche demoliert.“

Ich drückte das Wasser aus den Shirts, sein Grinsen wurde breiter.

„Liz, hm?“

„Nein.“

„Hat sie nicht gestern …“

Ich hasste es, zu lügen, aber solange ich nicht wusste, was das mit uns war, wollte ich keinerlei Spekulationen schüren. Außerdem entsprach es nicht meiner Art, über die Frauen, mit denen ich das Bett teilte, zu reden.

„Kann sein, dass sie was Ähnliches getragen hat.“

Damit war die Diskussion für mich beendet und dementsprechend ging der Smalltalk in eine andere Richtung.

„Ich hab Paul übrigens gesagt, dass du Olivia nicht angerührt hast. Er weiß jetzt, dass ich es war.“

Wir schlenderten zurück zum Appartement.

„Ist er deswegen nach Palos Verdes abgehauen?“

Ryan nickte.

„Das wird er mir wohl so schnell nicht verzeihen.“

„Du kennst ihn, der kriegt sich bald wieder ein.“

Ich klopfte auf seine Schulter.

„Die Kleine hat ihm echt was bedeutet“, sagte er geknickt.

„Wenn es umgekehrt genauso gewesen wäre, hätte sie nicht jeden Kerl nach ein paar Drinks rangelassen.“

„Ja, wahrscheinlich hast du Recht.“

Es wunderte mich, dass Ryan ungeschoren davon gekommen war. Paul zählte zu den Unbeherrschten und Jähzornigen. Als ihm damals gesteckt wurde, dass ich mich mit seiner Freundin vergnügt hatte, war er nicht verschwunden. Ohne irgendetwas zu hinterfragen, ging er auf mich los und es gab eine handfeste Schlägerei. Um seine Freundschaft mit Ryan nicht zu gefährden, hatte ich Paul in dem Irrglauben gelassen. Die Wahrheit hätte er ohnehin nur als fadenscheinige Ausrede aufgefasst. Dunkle Gasse. Großer, schwarzhaariger Typ. Mein Motorrad. Meine Lederjacke. Sein Mädchen. Dass Ryans Maschine nicht angesprungen war und er sich die Jacke von mir ausgeliehen hatte, weil er sie gut fand, hätte er mir nicht abgekauft.

„Mach dir keinen Kopf, das wird wieder.“

Ryan nickte und folgte mir in die verwüstete Küche. Er musterte die Bruchstücke des Porzellans und was sonst noch zu Boden gegangen war.

„Und du bist wirklich sicher, dass ich sie nicht kenne?“

„Jep!“

„Vielleicht ja doch.“

„Du nervst.“

Er lachte.

„Scheint auf jeden Fall Feuer im Arsch zu haben.“

Ich verdrehte die Augen.

„Darauf erwartest du nicht ernsthaft eine Antwort.“

„Eigentlich schon.“

Ich schlug ihm auf den Hinterkopf und ignorierte jeglichen weiteren Kommentar, der in diese Richtung abzielte.

Nachdem ich die Scherben und den Dreck beseitigt hatte, stellte ich zwei leere Tassen unter den Vollautomaten und wartete, bis sie gefüllt waren.

„Du bringst ihr Kaffee ans Bett?“ Ryan kaute genüsslich auf seinem Donut herum. „Wenn sie dich auch noch bei deinem richtigen Namen nennt, fange ich langsam an, mir Sorgen zu machen.“

Allzu gern hätte ich ihn vom Hocker gekippt.

„Musst du nicht“, erwiderte ich knapp.

Mit den Klamotten in der einen und den beiden Tassen in der anderen Hand trat ich die Flucht an. Ryan war zwar sonst eher wortkarg, doch wenn er einen Laberflash bekam, fand er so schnell kein Ende.

 

Die kleine Schönheit war aufgewacht. Obwohl die Bettdecke alles, was sie neben ihrem hübschen Gesicht zu bieten hatte, vor mir verbarg, versetzte der Anblick meinen gesamten Körper in Aufruhr. Es war wie eine Sucht, die sich zunehmend verstärkte, sobald ich an die vergangene Nacht zurückdachte.

„Hey, Beauty. Schon wach?“

Ich warf unsere Klamotten auf den Sessel und zog die Vorhänge so weit zu, dass nur noch durch einen schmalen Spalt das Sonnenlicht hereinschien.

Keine Ahnung, wie ich es schaffte unter die Bettdecke zu kriechen, ohne mir die Finger zu verbrennen. Wobei ich mir bei der Berührung ihrer weiblichen Rundungen nicht sicher war, vielleicht doch das eine oder andere Brandmal davonzutragen – heiß war kein Ausdruck für die Frau in meinem Bett.

Ich gab Elizabeth einen der Becher und trank selbst einen Schluck, bevor ich den Kaffee abstellte.

„Danke“, hörte ich sie leise sagen.

Ihr freiliegender Nacken lenkte mich dermaßen ab, dass ich ihr eine Antwort schuldig blieb. Ich küsste die zarte Haut, bis sich die hauchfeinen Nackenhärchen allesamt aufrichteten.

„Daran … könnte ich mich gewöhnen“, flüsterte sie.

Und ich erst …

„Hum …“, murmelte ich abwesend. Ihr sündhaft schöner Körper hatte mich längst wieder in den Bann gezogen. „… ich mich auch …“

 

Am späten Nachmittag brach die vernünftige Seite der kleinen Schönheit durch. Widerwillig musste ich einsehen, dass es Bedürfnisse gab, die ich nicht befriedigen konnte, und ließ sie gehen. Während ich darauf wartete, dass sie das Bad freigab, wurde mir langsam die volle Tragweite unseres Abenteuers bewusst. Unabhängig davon, dass ich Gefühle für sie hegte, die weit über meine Bettkante hinausreichten, war sie keine Frau für eine Nacht. Und genau das war der Punkt, der mir Sorgen bereitete. Was erwartete sie von mir? Ich betrat völliges Neuland und hatte keinerlei Orientierungspunkte, außer Brandon und Emilia. Aber ich war nicht mein Bruder und Elizabeth war ganz anders als dessen Freundin.

Komm runter, Jack! Folge deinem Instinkt.

Meine Befürchtung, der Jagdtrieb könnte eventuell erlöschen, sobald ich bekommen hatte, was ich wollte, war nicht eingetreten. Und ich wusste nicht, ob mir das gefiel. Elizabeth hatte neue Maßstäbe gesetzt, bei denen es nicht ausschließlich um guten Sex ging. Es fühlte sich an, als hätte ich mein perfektes Gegenstück gefunden, von dem Emilia stets behauptete, dass es irgendwo auf der Welt existierte und man müsse nicht danach suchen, es würde irgendwann einfach auftauchen.

Ich lächelte in mich hinein. Die Freundin meines Bruders schien tatsächlich Recht mit ihrer romantischen Theorie zu haben, denn was ich nach der vergangenen Nacht definitiv wusste, war: Ich wollte mit Elizabeth zusammen sein, richtig zusammen sein. Mit allen Konsequenzen. Und mir fiel absolut nichts ein, was mich jetzt noch dazu bringen konnte, nach Salinas zu fahren. Sie war die Frau, für die ich ein Stück weit meine Freiheit aufgeben würde.

Als ich mitbekam, wie sie sich über den Flur in ihr Zimmer stahl, wartete ich ein paar Minuten, obwohl ich sie liebend gern in dem schmalen Gang überfallen hätte. Auf dem Weg ins Bad hörte ich, dass sie telefonierte – wahrscheinlich mit Angela, um sie auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen.

Ich mochte es nicht, wenn Details meines Intimlebens bekannt wurden. Trotzdem nahm ich es der kleinen Schönheit nicht krumm, dass sie mit ihrer Freundin darüber sprach. Elijahs Mädchen hatte schließlich hinter den Kulissen wochenlang mitgefiebert. Außerdem wusste ich, dass sie den Mund halten konnte, wenn es wirklich darauf ankam und dass sich die Sache nicht wie ein Lauffeuer herumsprechen würde.

Leise summend duschte und rasierte ich mich. Anschließend zog ich mir frische Shorts an, warf das feuchte Handtuch über die Schulter und ging zurück in mein Zimmer. Zu meiner Überraschung saß Elizabeth auf dem Bett und wartete auf mich.

Hör auf dein Bauchgefühl.

Und genau das tat ich – fast.

Sie sah zum Anbeißen aus, dennoch unterdrückte ich mein körperliches Verlangen und küsste sie nur mit einer gewissen Unschuld, bevor ich im Kleiderschrank nach meinen Klamotten suchte.

„Hast du Lust auf Kino?“ Meine Wahl fiel auf Jeans und Shirt – was sonst?! „Im Moment laufen ein paar ziemlich gute Streifen.“ Ich schenkte ihr ein kurzes Lächeln und eilte nochmal zurück ins Bad. Eine Gel-Einheit später war ich wieder bei ihr. „Wenn du magst, können wir davor oder danach irgendwo was essen gehen. In der Nähe vom Ocean Inn gibt es ein nettes Restaurant, da wollte ich neulich schon mit dir …“

Erst jetzt registrierte ich, dass sie mir keine Antwort gab, was nicht ungewöhnlich war, aber dass sie stumm wie ein Stockfisch da saß und Löcher in die Wand starrte, verhieß nichts Gutes.

„Alles okay? Ist was passiert?“

„Woll … wolltest du mir nicht was Wichtiges sagen?“

Ihre Stimme klang brüchig.

„Das hat sich erledigt, ich muss nur mit Miles telefonieren.“

„Gut“, sagte sie knapp.

„Gut?“ Langsam geriet ich ins Grübeln. Hatte ich unwissentlich was falsch gemacht? „Klingt aber anders.“

„Ist es auch nicht.“

Oh-oh, Jack …

„Was ist los, Beauty?“

Sie sah mich mit großen Augen an.

„Ich kann das nicht.“

„Was kannst du nicht?“ Ich hatte keine Ahnung, was sie damit meinte, bis sie aufstand und aus dem Zimmer verschwinden wollte. Im Gehen erwischte ich sie am Handgelenk. „Du meinst dich und mich.“

Sag nein. Sag, dass es was anderes ist …

Ihr Nicken war wie ein Schlag in den Magen.

„Es war ein Fehler. Wir sollten es bei dem einmaligen Ausrutscher belassen und versuchen, Freunde zu bleiben.“

Einmalig?

Wäre ich nicht von Grund auf ein stolzer Mann gewesen, hätte ich genau in diesem Augenblick einen lauten Frustschrei losgelassen. Ich liebte sie – das war mittlerweile überaus klar – aber das Wort Kriechen hatte in meinem Wortschatz selbst jetzt keinen Platz. Dementsprechend kühl ließ ich ihren Arm los.

„Freunde.“ Nach all dem, was erst vor wenigen Stunden zwischen uns gelaufen war, gelang es mir nicht, den unterschwelligen Spott zu unterdrücken. „Denkst du nicht, dass wir dafür schon einen Schritt zu weit gegangen sind?“

Da war sie wieder, die Eisschicht. Binnen Sekunden wurde sie undurchdringlicher denn je.

„Ich weiß es nicht.“

Sie wirkte verletzlich, als sie es aussprach. Dennoch trafen mich Wut und Enttäuschung mit solch einer Wucht, dass ich entgegen meinem eigentlichen Charakter, kopflos reagierte.

„Super Antwort, Elizabeth! Dann denk mal drüber nach. Genug Zeit dafür hast du jetzt.“

Ich musste weg. Ohne mich noch einmal umzudrehen, ging ich und ließ sie allein in meinem Zimmer zurück.

 

Kreuz und quer fuhr ich durch die Stadt, versuchte irgendwie den Kopf freizukriegen, doch es wollte mir nicht gelingen. Jeder Gedanke, der in eine andere Richtung zielte, verlief sich, machte einen U-Turn und drehte sich letztendlich wieder um Elizabeth. Selbst jetzt konnte ich noch ihr leises Seufzen meines Namens hören und damit verbunden spürte ich sie.

Hoffnungslos überfordert parkte ich die Harley vorm Tasty Toast & Pie. Ich hatte Glück, Brandon saß an der halbrunden Theke, die aussah wie ein amerikanischer Quilt.

Sobald ich die Tür öffnete und mich der Duft verschiedener Toastgerichte, Kuchen, Cup- und Pancakes umgab, hob sich meine Laune. Innerhalb dieser vier Wände tickten die Uhren anders, nicht zuletzt wegen der Musik, die aus einer alten Jukebox kam und den Raum mit dem charakteristisch holprigen Schallplattensound erfüllte.

Der Laden war wie immer gut besucht. Die Plätze im typischen Diner-Stil an der meterlangen Fensterfront waren allesamt besetzt, genau wie die mit wuchtigen Sesseln und runden Teetischen bestückte Bücherecke. Emilias Idee mit der Tauschwand und Großmutters Ohrensesseln hatte direkt großen Anklang gefunden, nicht nur bei Studenten.

Schräg gegenüber vom Eingang – im romantischen Gewächshaus, das Brandon und ich, nachdem Leann und Emilia den Film Beastly gesehen hatten, irgendwie nachbauen mussten – war nur ein weißer verschnörkelter Holzstuhl inmitten von händchenhaltenden Pärchen frei.

An der Theke sah es ebenfalls verdammt eng aus. Emilia schenkte mir trotz der vielen Arbeit ihr schönstes Lächeln, was meinen Bruder sofort aufmerksam machte. Über seine Schulter hinweg folgte er ihrem Blick. Als er mich gesehen hatte, winkte er mich gleich zu sich und atmete erleichtert auf, weil ich keinerlei Konkurrenz für ihn darstellte.

„Mit dir hab ich erst wieder im Dezember gerechnet“, sagte er im Aufstehen. „Setz dich, ich hol mir den Reservehocker.“

Ich tat, was er gesagt hatte. Brandon ging derweil um die Theke herum in die Küche und kam mit dem ungepolsterten Insidersitz zu mir zurück.

„Hast du schon was gegessen?“

„Nein.“

„Hunger?“

„Nein.“

„Campari?“

„Was sonst?!“

Mein Bruder lachte.

„Ja, was sonst?! Aber nur einen!“

„Du musst mich nicht maßregeln, ich trinke nie mehr als ein Glas, wenn ich einen Motor unterm Hintern habe.“

Er bestellte bei der schüchternen Aushilfe Kelly per Fingerzeig zwei Rote auf Eis.

„Ich zerstöre ungern deine Hoffnungen, aber du bist und bleibst mein kleiner Bruder.“

Brandon pustete mir ins Gesicht, so wie er es früher immer getan hatte, wenn ich uneinsichtig war. Ich schüttelte genervt den Kopf. Zwischenzeitlich brachte die hübsche Dunkelblonde mit den babyblauen Augen unsere Getränke. Hätte es Elizabeth nicht gegeben und wäre seitens der beiden Besitzerinnen nicht ein klares Anmachverbot für Angestellte ausgesprochen worden, wäre die Kleine absolut meine Kragenweite gewesen. Unter diesen denkbar ungünstigen Voraussetzungen ignorierte ich allerdings ihren unschuldigen Augenaufschlag und wandte mich nach einem freundlichen „Danke“ wieder meinem Bruder zu.

„Cheers!“ Er stieß mit seinem Glas gegen meins, dann tranken wir beide einen kräftigen Schluck. „Und jetzt sag, warum du hier bist.“

Er zwinkerte mir zu.

„Liegt das nicht auf der Hand?“

„Du wolltest dich also gebührend von mir verabschieden.“

„Jep!“

Brandon grinste.

„Jackson?“

„Ja?“

„Verarsch mich nicht.“ Er sah mich prüfend an. „Normalerweise hättest du mir eine SMS geschickt.“

„Normalerweise bin ich auch nicht monatelang weg.“

„Stimmt.“ Mit einem Schmunzeln hielt er kurz inne. „Zwei Menschen, die nicht mit und nicht ohne einander auskommen auf einem Motorrad, sturmfreie Bude, Klamotten vom Torbogen bis in den Hof verteilt …“

Ich hatte ihm noch nie irgendwas vormachen können.

„Ist ja gut, Sherlock, ich bin nicht nur zum Verabschieden hier.“

„Was ist passiert?“

Ich stellte das Glas ab, rieb mir angespannt über die Stirn und erzählte ihm von Elizabeths doppeltem Sinneswandel. Brandon unterbrach mich nicht, er hörte die ganze Zeit aufmerksam zu.

„Da schlägt dich jemand mit deinen eigenen Waffen“, sagte er, nachdem ich fertig war.

„Hum, daran hab ich ebenfalls gedacht, aber das ist es nicht.“

„Das würde auch nicht zu ihr passen.“

„Nein.“

„Du hast sie wirklich gern, was?“

„Ja.“

Er lächelte.

„Ich denke nicht, dass sie leichtfertig ist. Gib ihr Zeit, sie hat ‘ne Menge mitbekommen und schlechte Erfahrungen gemacht.“

„Wäre es anders gelaufen, hätte ich Salinas sausen lassen.“

Brandon nickte.

„Dachte ich mir.“ Er schwieg einen Moment. „Obwohl ich dieses ‚Kopf hoch Gelaber‘ hasse: Ihr werdet euren Weg finden, welcher es auch sein mag.“

„Schon klar: Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab …“

Dabei hatte ich mich mit Elizabeth alles andere als tot gefühlt. Dennoch waren wir an einem Punkt angelangt, der jede Weiterentwicklung in die von mir angestrebte Richtung hemmte.

„Es steckt viel Wahres in den alten Weisheiten.“ Mein Bruder zwinkerte mir zu. „Wobei ich nicht glaube, dass es vorbei ist, bevor es richtig begonnen hat.“

Ich lehnte mich zurück und fixierte den Inhalt meines Glases. Die Farbe war verblasst. Das Eis, bis auf ein Minimum geschmolzen, hatte sich mit der roten Flüssigkeit verbunden und deren Kraft geraubt – ein Spiegel meiner selbst.

„Wahrscheinlich hast du Recht. Ich konzentrier mich auf das, was jetzt vor mir liegt. Alles andere wird sich finden.“

 

Spät in der Nacht parkte ich die Harley vor dem schmiedeeisernen Tor. Es war mucksmäuschenstill, bis auf das verhaltene Rascheln der Palmblätter im warmen Wind war nichts zu hören. Im Appartement war es ebenfalls ruhig, wenn man von dem gleichmäßigen Schnarchen meiner männlichen Mitbewohner und dem Ticken der Küchenuhr absah.

Es fiel mir schwer, an Elizabeths Zimmertür vorbei zu gehen. Die kleine Schönheit fehlte mir jetzt schon und ich hatte keine Ahnung, wie ich die kommenden Monate überstehen sollte.

Ein paar Klamotten waren schnell gepackt. Wie auf der Flucht hetzte ich durch mein Zimmer und stopfte alles Notwendige in einen Rucksack, bevor ich mein Bett in Ordnung brachte und dabei von diesem unverkennbaren Duft umnebelt wurde – pudrig mit einer dezenten Vanillenote. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, während ich das Laken glatt zog, die Kissen und die Bettdecke aufschüttelte. Es war ein schöner Traum gewesen, zu schön, um wahr zu sein. Der Aufprall auf dem Boden der Realität traf mich verdammt hart. Gleichzeitig wurde mir klar, dass ich nicht einfach verschwinden konnte. Sie sollte wissen, was ich fühlte und dass ich zu mehr fähig war, als sie vielleicht dachte.

Beende es, wie es begonnen hat.

Mit versteinerter Miene und zugeschnürter Kehle schrieb ich ein paar Zeilen auf einen Zettel und stand Minuten später in ihrem Zimmer. Im Vorbeigehen nahm ich den Campari von der Kommode neben der Tür, schlich an ihrem Bett vorbei und platzierte meine Nachricht nebst der Flasche auf dem halbhohen Schrank mit dem Spiegel, in der Hoffnung, meine Botschaft würde nicht allzu lange unentdeckt bleiben. Danach wandte ich mich mit unruhigem Herzschlag Elizabeth zu und hockte mich vorsichtig auf die Bettkante.

Sie schlief tief und fest, ihr seidig weiches Haar bedeckte fast das gesamte Kopfkissen. Ich lauschte ihrem gleichmäßigen Atem, beobachtete das Flattern unter ihren geschlossenen Lidern, die von schier endlos langen Wimpern geziert wurden.

Du wirst mir wahnsinnig fehlen …

Emotional bewegte ich mich hart am Limit, während ich liebevoll über ihre Wange strich und mir einen letzten bittersüßen Kuss von ihr stahl.

 


Ende der Leseprobe

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