Campari?

Debütroman erschienen am: 13.02.2015


Klappentext

„Wollte ich das überhaupt? Mich wieder seiner Nähe aussetzen? Wo war meine Wut? Wieso ließ sie mich plötzlich im Stich? Und warum sah er mit dem entwaffnenden Grinsen im Gesicht und den Campari Gläsern in der Hand nahezu unwiderstehlich aus?

Begleitet von einem tiefen Seufzer der Selbsterkenntnis steuerte ich auf ihn zu. Trotz allem wollte ich hören, was er mir zu sagen hatte, und ich hasste meine Beine dafür, dass sie mich zu ihm trugen…“

 

Das Leben in einer WG hält einige Überraschungen bereit, auch negative. Vor allem, wenn man das zweifelhafte Vergnügen hat, Wand an Wand mit einem frauenverschlingenden Casanova zu leben, der seine eigenen Regeln aufstellt und dessen ausschweifendes Liebesleben nicht nur für schlaflose Nächte sorgt.


Elizabeth und Jack erzählen ihre Geschichte kompliziert, prickelnd und hochromantisch.


Leseprobe

Appartementsuche

 

Elizabeth

 

„Oh. Mein. Gott!“, lachte Angela und schob mir ihren Teil des Anzeigenblattes zu. „Wer schreibt denn sowas?“

Einsamer sucht Mitbewohner/in, Option auf mehr …

Mir blieb ein Stück meines Hot Dogs hart im Hals stecken. Ich hustete und saugte gierig am Strohhalm meiner Cola.

„Wahrscheinlich haben die sich in der Rubrik vertan“, krächzte ich.

„Glaub ich nicht“, grinste sie. „Die Stadt wimmelt von Freaks. Oder, besser ausgedrückt, speziellen Persönlichkeiten.“

„Da kann ich nicht widersprechen.“ Ich räusperte mich. „Schade, dass ihr keinen Platz mehr für mich habt.“

„Finde ich auch“, bestätigte Angela, während sie ihre Sonnenbrille gerade rückte. „Wenn es nach mir ginge, würde ich Sophie rausschmeißen und du könntest sofort einziehen. Aber so, wie es im Moment ist, wird das platzmäßig leider nichts. Das große Zimmer teile ich ja schon mit ihr.“ Sie rollte genervt die Augen. „Bleiben nur noch die beiden kleineren und ich kann mir kaum vorstellen, dass du mit Michael oder Evan auf engstem Raum schlafen möchtest.“

Ich runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.

„Eher nicht.“

„Mit Sophie vielleicht?“

„Dann doch lieber mit Michael. Oder Evan. Oder beiden.“

Wir kicherten bei dem Gedanken an den liebeskranken Michael, der in meiner Anwesenheit beinahe vergaß, wie er hieß. Er war zwar nett und sah relativ gut aus, entsprach jedoch in keinster Weise dem Typ Mann, der mir gefährlich werden konnte.

„Das war fies“, flüsterte ich in einem Anflug schlechten Gewissens.

„Ach was. Das meinst du nur.“

Zeitgleich senkten wir die Köpfe in die Zeitung und taten beschäftigt, um unser Lachen zu unterdrücken.

„Hier“, murmelte Angela kurz danach. „Gemischte WG sucht ab sofort neuen Mitbewohner. Miete 850 Dollar plus Nebenkosten. 409 Sunset Strip …“

„850 Dollar? Plus Nebenkosten?“, stöhnte ich. „Ein bisschen viel für meine Verhältnisse.“

Dagegen konnte selbst meine Freundin nichts einwenden. Wir arbeiteten in derselben Redaktion und mit einem Einstiegsgehalt von etwa 2000 Dollar, abzüglich einer derart hohen Miete, kam man ohne diverse Nebenjobs nicht weit.

„Hm“, nickte sie und las konzentriert das nächste Inserat vor. „Wie ist das hier? Ältere Dame (83 J.) sucht engagierte Mitbewohnerin/Haushaltshilfe. 208 Vine Street …“

„83? Mitbewohnerin Schrägstrich Haushaltshilfe? Ich weiß nicht.“

„Vermutlich sucht sie jemanden, der sich um sie kümmert und im Gegenzug kostenlos bei ihr wohnen kann. Von Miete steht hier nix.“

„Wenn man bedenkt, wie spät wir manchmal erst aus dem Verlag kommen …“

„Auch wieder wahr.“

Angela trank von ihrer Cola, klemmte sich einige lose Haarsträhnen hinter die Ohren und las weiter.

„Dann wird es wohl fürs Erste weiter bei der Pension bleiben“, seufzte ich enttäuscht.

Rücklings ließ ich mich ins warme Gras fallen. Der Himmel war nahezu wolkenlos, wie fast jeden Tag seit meiner Ankunft vor knapp zwei Monaten. Bei H&C hatte ich einen mehr oder weniger gut bezahlten Job bekommen und war von Oakland nach Los Angeles umgezogen. Während eines Meetings hatte ich Angela Watson kennengelernt und seitdem waren wir praktisch unzertrennlich. Im Gegensatz zu mir hatte sie sich allerdings vor ihrer Abreise aus San Francisco um eine Wohnung bemüht und war in einer kunterbunten WG am Wilshire Boulevard gelandet. Ich hingegen wälzte nun seit Wochen jeden Tag die Annoncen, hatte aber bisher noch nichts Passendes finden können, und vegetierte in einer abgewrackten Pension vor mich hin. Unschön, ungemütlich, keine Besucher erlaubt, dafür einigermaßen erschwinglich. Der Westen Hollywoods war ein extrem teures Pflaster.

„Lass uns gehen“, murmelte ich niedergeschlagen und stand auf.

„Warte …“

„Was denn?“

„Ich glaube, das könnte echt was sein.“

„Das hast du bereits oft gedacht und ich erinnere mich nur ungern an den Typ, der uns in Lackledertanga und Gasmaske die Tür geöffnet hat.“

„Da bin ich in der Spalte verrutscht“, kicherte Angela.

„Ja, … sicher.“

„Im Ernst. Das hier hört sich echt gut an. Melrose Place ...“ Sie nahm die Sonnenbrille ab und wippte mit ihren frisch gezupften Augenbrauen. „Liz, wenn ich mich recht erinnere, stehen da richtig schicke Häuser.“

Die Gegend rund um den Melrose Place war wirklich schön und vom Verlag aus betrachtet direkt um die Ecke. Trotzdem oder gerade deshalb fürchtete ich, dass es wieder zu teuer sein könnte.

„Du brauchst weder den Bus zur Arbeit nehmen noch ein Auto. Bis zum Beverly Boulevard schaffst du es locker zu Fuß.“

Angela klang absolut begeistert.

„Zeig mal.“

Sie reichte mir die Zeitung.

„The Pack Master has left the stage“ – Rat Pack sucht dringend Verstärkung m/w. Casting ab sofort: 5960 Melrose Place, Brandon Parker – Phone …

„Pack Master? Rat Pack? Casting?“

Ich rümpfte die Nase.

„Das ist doch lustig.“

„Eher seltsam.“

„Ruf an!“

„Und dann?“

„Frag, wann wir vorbeikommen können.“

„Wir? Begleitest du mich?“

„Klar!“

„Ich … ähm … och nee, lieber nicht.“

„Mach jetzt! Oder willst du ewig in dem verwanzten Loch hausen?“

„Nein, eigentlich nicht.“

„Na also!“

Angela sah mich auffordernd an.

Zögernd fischte ich das Handy aus meiner Tasche und wählte im Zeitlupentempo die angegebene Nummer.

Es klingelte.

Einmal – zweimal – dreimal.

„Keiner da.“

„Nicht so ungeduldig“, zischte sie.

Viermal – fünfmal.

„Brandon Parker.“

Ich erschrak, als ich die dunkle Stimme eines Mannes am anderen Ende der Leitung hörte.

„Ha …“ Ganz ruhig, Elizabeth. „Hallo?“

„Wer spricht denn da?“

„Tschuldigung“, nuschelte ich.

„Na mach jetzt!“, flüsterte Angela.

„Ich rufe … wegen der … Annonce an.“

„Und mit wem spreche ich?“

Mit der flachen Hand klatschte ich mir vor die Stirn.

„Ja … ähm … mein Name ist Elizabeth Hunter und …“

„Das ist ein schöner Name“, warf Brandon Parker ein.

Feuerrot im Gesicht stammelte ich weiter.

„Danke …“

„Bitte.“

Durchs Telefon spürte ich, dass er lächelte, und entspannte mich. Zumindest ein bisschen.

„Ist das Zimmer noch frei?“

Endlich war es raus.

„Ja, wir haben uns bisher nicht festgelegt.“

„Könnte ich vielleicht …?“

„Sicher kannst du“, sagte Brandon. „Heute Abend?“

„Klingt gut.“

„Acht Uhr?“

„Perfekt!“

„Also dann, bis später.“

Es klickte leise – Brandon hatte aufgelegt.

„Und?“, hakte Angela nach.

„Heute Abend um acht.“

„War er nett?“

„Ja, war er.“

„Ich wusste es!“

Sie rieb sich freudig die Hände.

„Aber ich warte noch auf den Haken.“

„Da gibt es keinen Haken. Sei nicht immer so pessimistisch.“

Mit theatralisch ernster Miene beäugte ich mein Gegenüber und sagte nur: „Lackleder …“

Angela lachte laut auf.

„Ist ja gut, ist ja gut. Du darfst pessimistisch sein.“

 

Gegen 18 Uhr kamen wir nach getaner Arbeit aus dem Verlagsgebäude.

„Was für ein Tag!“, stöhnte Angela. Sie machte einen recht zerrupften Eindruck. Fast die Hälfte ihrer schwarzen Haare hatte sich aus dem Gummiband an ihrem Hinterkopf gelöst. „Die Managerin von dem Mann, dessen Namen ab sofort nicht mehr genannt werden darf, hat mich total fertiggemacht. Ich meine: Halloho?! Es gibt veröffentlichte Fotos, auf denen eindeutig zu sehen ist, dass er eine Frau küsst, die nun mal nicht seine ist, und dann verlangt sie eine Gegendarstellung. Wie soll das denn gehen?“

„Immerhin war das nicht so langweilig wie die Ausstellung von Monsieur X, der Skulpturen aus Wattebällchen und Acryl bastelt. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was er sich dabei gedacht hat und nicht den blassesten Schimmer, was ich darüber schreiben soll.“

„Hast du ihn denn nicht danach gefragt?“

„Doch, das habe ich, aber das Einzige, was er dazu gesagt hat, war, dass sie sich dem Auge des Betrachters anpassen.“

„Ach herrje“, lachte Angela, „wo sind wir hier nur gelandet?“

„Das frage ich mich auch gerade“, seufzte ich. „Auf jeden Fall hätte ich nie gedacht, dass ich mich irgendwann mal an die gute alte Oakland Universität zurückwünsche.“

„Tja, es nutzt alles nichts. Da müssen wir jetzt durch.“ Nachdem sie ihren Zopf notdürftig in Ordnung gebracht hatte, hakte sie sich bei mir ein. „Sollen wir was essen gehen, oder steht aufhübschen vor der Besichtigung an?“

„Ich bin für Essen.“

Ein leises Magengrummeln war zu hören.

„Mein Bauch auch“, kicherte Angela. „Papa Joes?“

„Unbedingt!“

 

Nach einer guten Stunde verließen wir die Snackbar und machten uns frisch gestärkt auf den Weg über die Melrose Avenue. Wir schlenderten an exklusiven Geschäften mit Kleidern, Taschen und Schuhen in den Schaufenstern vorbei, die wir uns in den nächsten zehn Jahren nicht würden leisten können. Obwohl wir fast an jedem Laden stehen blieben, um die Auslagen zu bewundern, dauerte es nicht lange, bis wir den Melrose Place und somit das erste Wohngebäude passierten.

„Hier ist es echt schön“, sagte ich begeistert und spähte durch die Gitterstäbe eines verschlossenen Tores, welches Unbefugten den Zutritt verwehren sollte.

„Hab ich doch gesagt“, kam es von Angela.

Aufmerksam besahen wir die Umgebung. Ich wünschte mir sehnlichst, dass es diesmal keinen Haken an der Sache geben würde, denn die Häuser, an denen wir gut gelaunt vorbeispazierten, übertrafen allesamt meine Erwartungen. Vor dem doppelstöckigen Neubau mit der Nummer 5960 blieben wir stehen. Davor parkten einige Motorräder und ein schwarzer VW-Beetle mit offenem Verdeck. Aus dem Innenhof ertönte laute Musik.

„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“

Angela nickte.

„Ja, ganz sicher.“

Bevor wir das angelehnte Tor aufdrücken konnten, rauschte ein großer, breitschultriger Kerl in Jeans und Shirt an uns vorbei, der eine albern kichernde, wasserstoffblonde Frau im Arm hielt. „Süßer Arsch!“, pfiff er anzüglich und warf mir über seine Schulter hinweg einen beinahe unverschämten Blick zu. Sein darauffolgendes kehliges Lachen übertönte kurzzeitig die Musik.

„Mieser Arsch!“ Empört wandte ich mich an Angela. „Hast du das gehört?“

Meine Freundin lachte.

„Wo er Recht hat, hat er Recht. Wenn du wieder eine normale Gesichtsfarbe hast, lass uns reingehen. Dieser Brandon wartet bestimmt schon auf dich.“

„Da rein? Niemals!“

„Was denn?! Willst du nun aus der Pension raus, oder nicht?“

„Ja“, brummte ich. „Aber wenn die alle so drauf sind, wie der gerade …“

„Das finden wir nicht heraus, wenn wir weiter vor dem Tor herumlungern.“

Angela schubste mich auf den Eingang zu, und ehe ich mich versah, fand ich mich in einem traumhaften Innenhof wieder.

„WOW!“, staunten wir gleichzeitig.

Eine grüne Oase hatte sich vor uns aufgetan, in deren Mitte ein ovaler Pool eingelassen war. Die üppige Vegetation warf lange Schatten auf den mediterran gepflasterten Boden. Rechts und links führte jeweils eine geschwungene Treppe hinauf zu einer Art Rundgang, von wo aus fünf weiß getünchte Türen zu den einzelnen Appartements abgingen. Einige Leute lagen, saßen und standen um den Pool herum, unterhielten sich angeregt, lachten und lauschten der Musik. Ein köstlicher Geruch strömte von einem Barbecuegrill aus zu uns herüber und es machte fast den Eindruck, als wären wir an einem angesagten Urlaubsort gelandet. Mein Blick schweifte weiter über die Poollandschaft. Auf Anhieb konnte ich sechs Männer ausmachen, die allesamt locker um die 1,85m maßen. Zwei von ihnen waren eher schlaksiger Natur, sie schienen jünger zu sein. Der Rest der Truppe hatte entweder gute Gene oder den athletischen Körperbau regelmäßigen Besuchen im Fitnessstudio zu verdanken. Die einzigen beiden Frauen dazwischen wirkten beinahe zerbrechlich. Zweifellos hatten wir es hier mit einigen Hinguckern zu tun. Langsam verlor ich den Überblick.

„Spinne ich? Die sehen irgendwie alle gleich aus“, tuschelte ich meiner Freundin zu.

„Du spinnst! Guck mal genauer hin, ich erkenne deutliche Unterschiede. Aber eins ist absolut sicher, die sehen alle mächtig gut aus. Ich will das Zimmer haben“, flüsterte Angela.

Dass ihr die Aussicht gefiel, war nicht schwer zu erraten. Mich beschäftigte allerdings eine ganz andere Frage.

„Welcher von denen wohl dieser Brandon Parker ist?“

„Keine Ahnung …“, antwortete sie abwesend.

Einer der dunkelhaarigen Männer, der eine gewisse Reife ausstrahlte, obwohl er nicht viel älter als der Rest der Gruppe sein konnte, löste sich aus dem Pulk und kam gemächlichen Schrittes auf uns zu.

„Hi, ich bin Brandon Parker“, stellte er sich vor. „Mit wem von euch beiden habe ich heute Mittag telefoniert?“

„Mit … mir“, stammelte ich und ergriff seine ausgestreckte Hand, die er danach Angela reichte.

„Freut mich, dass ihr gekommen seid. Wenn ihr wollt, zeige ich euch eben das Appartement.“

„Wenn sie nicht will, ich will ganz bestimmt“, kam es von meiner Freundin, die offensichtlich bereits jemanden entdeckt hatte, der ihr besonders gefiel.

Der fast Unbekannte mit dem Kurzhaarschnitt schmunzelte wissend und wies uns die Richtung. Wir folgten Brandon die linken Stufen zum Rundgang hinauf, durch die offen stehende Haustür, und betraten hinter ihm nach einer kleinen Diele, einen riesigen Raum, der ein gemütliches Wohnzimmer mit einer modernen Einbauküche verband.

„Schick“, murmelte Angela.

Ich nickte zustimmend. Das war es in der Tat.

„Da wären wir“, sagte Brandon. „Seht euch ruhig um. Das hier ist der Gemeinschaftsraum.“

Ein hellgraues Mammutsofa sowie ein übergroßer Fernseher beherrschten den Raum, davor thronte ein ovaler Tisch mit einigen leeren Flaschen und angebrochenen Chipstüten. An dem verhältnismäßig kleinen Fenster stand eine Palme, deren angebräunte Blätter sich vor Durst zusammengerollt hatten. Direkt gegenüber befand sich eine schneeweiße Küche inklusive einer Esstheke mit vier langbeinigen Hockern und als besonderes Extra bergeweise schmutziges Geschirr.

„Die Jungs sind noch nicht zum Aufräumen gekommen“, entschuldigte sich Brandon.

„Jungs?“

Teil einer reinen Männer-WG zu werden, lag mir völlig fern. Sichtlich erschrocken suchte ich nach den passenden Worten, um mich aus der Affäre zu ziehen.

„Nicht nur“, erklärte er. „Leann wohnt ebenfalls hier. Sie ist die einzige weibliche Mitbewohnerin und würde sich über Verstärkung sicher freuen.“

„Das beruhigt mich.“

Diese Aussage erleichterte mich ungemein und Angela nahm mir sogleich die restlichen Zweifel.

„Ich finde das gar nicht so übel“, sagte sie. „Du weißt doch, wie zickig Frauen untereinander sein können. Denk nur an Sophie. Wenn es Michael und Evan nicht geben würde, wäre ich wahrscheinlich schon lange wieder ausgezogen.“

Vielleicht war es wirklich nicht das Schlechteste, von mehr Männern als Frauen umgeben zu sein. Im Verlag funktionierte das schließlich auch.

Brandon fuhr mit dem Besichtigungsprogramm fort.

„Dort verstecken sich vier der insgesamt sechs Zimmer mit eigenem Bad und separatem WC.“ Er wies auf einen Durchgang hinter der freistehenden Couch, danach durchquerte er den Gemeinschaftsraum, öffnete eine Tür seitlich der Küche und ließ uns den Vortritt. Wir fanden uns in einem schmalen Flur wieder, in welchem es jeweils zwei nebeneinanderliegende Türen zu beiden Seiten gab. „Toilette, Badezimmer.“ Brandon deutete auf die Zugänge zu seiner Linken. „Da wohnt Red“, erklärte er weiter, dabei zeigte er nach rechts zum hinteren Eingang, „und hier vorne ist das freie Zimmer.“

Als sich der Raum vor mir auftat, schmolz ich augenblicklich dahin, er übertraf all meine Erwartungen. Geräumig, hell, mit einer gläsernen Schiebetür, die zu einer weitläufigen Terrasse führte. Der Ausblick über die gesamte Stadt im Abendrot war atemberaubend.

Meine aufkeimende Euphorie erstarb jedoch, als ich an die Miete dachte. Einen Wohnraum in dieser Lage konnte ich mir nie und nimmer leisten.

„Wie viel soll es kosten?“, fragte ich.

Eine dreistellige Zahl mit einer Sieben vorneweg reichte aus, um meinen lang gehegten Traum in seine Einzelteile zu zerfetzen.

„450 Miete und 150 für die Gemeinschaftskasse“, war Brandons Antwort.

„600? Im Monat?“, hakte ich nach, als hätte ich ihn nicht richtig verstanden.

Angela strahlte indes wie ein Honigkuchenpferd.

„Findest du das zu viel?“

„N-nein. Überhaupt nicht. Ich wollte bloß sichergehen, dass ich mich nicht verhört habe. Das Appartement ist riesig und ich hätte nicht gedacht, dass man in dieser Lage relativ günstig wohnen kann.“

„Das kann man eigentlich auch nicht. Der Vermieter ist uns mit dem Preis entgegengekommen, weil wir uns um die Pflege und Instandhaltung der Anlage kümmern“, klärte er mich auf. „Dass du einen bezahlten Job hast, davon gehe ich jetzt einfach mal aus“, sagte er als Nächstes.

Ich nickte zur Bestätigung.

„Und? Was sagst du?“

„Ich würde es nehmen. Sofort!“

Ein merkwürdiges Geräusch drang im selben Moment durch die Wand aus dem Zimmer nebenan.

Kichern.

Stille.

Sekunden danach war ein rhythmisches Stöhnen und das Quietschen eines Bettes zu hören. Drei Augenpaare sahen sich irritiert an, dann schien es bei Brandon langsam zu dämmern. Er ging rüber zur Wand und donnerte mit der Faust mehrmals kräftig dagegen.

„RED? MACH MAL EIN BISSCHEN LEISER, WIR HABEN BESUCH!“ Zerknirscht richtete er sich wieder an Angela und mich. „Entschuldigt bitte. Er übertreibt es manchmal.“

„Tja, so ist das eben, wenn man in einer WG lebt“, trällerte meine Freundin vergnügt.

Wir folgten Brandon durch den Gemeinschaftsraum zurück nach draußen. Im Innenhof angekommen, hatte er seine Sprache wiedergefunden.

„Meine Zustimmung hast du auf jeden Fall“, sagte er. „Da sich bisher nur schräge Vögel auf die Annonce gemeldet haben, stehen deine Chancen ziemlich gut. Allerdings kann ich das nicht allein entscheiden. Die Jungs und vor allem Leann haben das letzte Wort.“ Er führte uns rüber zum Pool und machte uns nacheinander mit den anderen Bewohnern bekannt. „Paul, Ryan, Phil, Elijah, Sean, Leann“, stellte er die Horde vor. „Und das ist Emilia“, sagte er mit einem strahlenden Lächeln, als er eine dunkelhaarige Schönheit in seine Arme zog.

„Dann hat der Pack Master wegen dir die Bühne verlassen?“, fragte ich, wobei ich mir ein Schmunzeln kaum verkneifen konnte. Nach allem, was ich bisher mitbekommen hatte, ergab der eigenartige Wortlaut der Annonce plötzlich Sinn.

Emilia lachte.

„Ja, ich bin schuld daran, dass er sich zur Ruhe gesetzt hat“, bestätigte sie. „Und? Wie gefällt es euch bei uns?“

„Also, ich bin … wow … es ist toll, und wenn Liz das Zimmer nicht will, bewerbe ich mich dafür“, schwärmte Angela. Sie zwinkerte dabei dem jungen Typ mit dem halblangen, braun gewellten Haar zu, den Brandon zuvor als Elijah vorgestellt hatte. Dieser schien genauso wenig schüchtern zu sein, wie all die anderen um uns herum und winkte meine Freundin zu sich herüber.

„Geh ruhig“, ermutigte ich sie.

Ein beherztes Aufseufzen war zu hören, dann hatte sie vergessen, mit wem sie gekommen war.

„Ich kläre kurz ab, was sie von dir als neuer Mitbewohnerin halten.“ Brandon bedachte mich mit einem zuversichtlichen Augenzwinkern. „Bis auf Red sind gerade alle da, und wenn sie keine Einwände haben, steht deinem baldigen Einzug nichts mehr im Wege.“

Er drückte Emilia einen Kuss auf die Stirn und ging.

„Wo zieht ihr eigentlich hin?“, fragte ich interessiert.

Emilia reichte mir eine kalte Cola.

„Wir sind schon umgezogen.“

Sie deutete auf die rechte Seite des Rundgangs, wo sich der Anordnung der Türen nach kleinere Wohneinheiten befanden.

„Dann seid ihr theoretisch immer noch Teil der WG.“

„Ja, so hat Brandon weiter ein Auge auf die verrückten Kerle“, erklärte sie. „Und falls es Probleme geben sollte, ist er gleich zur Stelle.“

Mir wurde mulmig.

„Gibt es denn oft … Probleme?“

„Nein, mach dir keine Sorgen. Die Truppe ist total nett, nur manchmal gehen die Pferde mit ihnen durch. Sie feiern gerne und haben Spaß. Das ist auch alles.“

Mein Unwohlsein verpuffte mit ihren Worten genauso schnell, wie es gekommen war. Das Gespräch mit Emilia sowie die ungezwungene Art der anderen Bewohner unterstützte meine Entscheidung. Blieb mir bloß noch zu hoffen, dass die Jungs und natürlich Leann keinerlei Einwände gegen mich hatten.

 

Drei Tage nach der Besichtigung war das Zimmer frisch gestrichen, ein flauschiger Teppich nahm die Hälfte des gefliesten Bodens ein und Angela steuerte am Nachmittag, mit mir auf dem Beifahrersitz, einen vollbeladenen Transporter durch das schmiedeeiserne Tor auf den Innenhof. Mir zuliebe hatte sie sich extra einen Tag frei genommen, damit sie mich beim Kauf meiner Möbel begleiten konnte. Nun galt es das Bett, die Matratze, einen Nachttisch, Lampen, eine Stereoanlage, den Kleiderschrank, Kommoden, Regale, zwei Sitzsäcke, einen Tisch, mehrere Kisten mit Klamotten, einige Bilder und einen Spiegel nach oben zu schaffen. Ein bisschen hilflos standen wir vor der hoffnungslos überfüllten Ladefläche und fragten uns, wie wir das ganze Zeug ins Appartement hinauf bekommen sollten.

„Braucht ihr Hilfe?“

Elijah lehnte weit über der Brüstung des Rundgangs und sah amüsiert auf uns hinab. Bevor wir ihm darauf antworten konnten, rief er die Namen seiner Mitbewohner, die wenig später einträchtig die Treppe hinunter kamen. Alle, bis auf Red, den ich bisher zwar gehört, aber noch nicht gesehen hatte.

Während des Aufbaus, bei dem laut Paul zarte Frauenhände nichts verloren hatten, brachten Angela, Leann und ich den Transporter zurück zum Möbelhaus. Anschließend fuhren wir mit dem Beetle zu einem nahegelegenen Supermarkt. Getränke, Salat sowie die Zutaten für Nudelauflauf waren binnen kürzester Zeit eingekauft und entsprechend schnell konnten wir ein schlichtes aber leckeres Essen vorbereiten, welches nach getaner Arbeit im Innenhof serviert wurde. Gleichzeitig feierten wir meinen Einstand, den ich mir schöner kaum hätte vorstellen können. Ich fühlte mich pudelwohl inmitten der fröhlichen Truppe, die mich ohne Vorbehalte aufgenommen hatte, und dank deren Hilfe mein Einzug innerhalb weniger Stunden problemlos abgelaufen war. Genau so hatte ich mir das WG-Leben immer vorgestellt und sah mich in meinem guten Gefühl durch Angela bestätigt.

 

Kurz vor Mitternacht fand das nette Sit-in ein Ende und ich beseitigte die letzten Kochspuren in der Küche. Leann schlief bereits. Sie und Emilia mussten im Wechsel sehr früh aufstehen, um ihr gemeinsames Diner auf der Fairfax Avenue zu öffnen. Paul und Ryan kamen ihren Jobs als Türsteher vor einem Club in der Nähe des Sunset Strips nach. Phil und Sean, die beiden jüngsten im Bunde, sahen sich im Wohnzimmer einen Horrorfilm an und Elijah brachte Angela nach Hause.

„Gute Nacht“, rief ich den Blutrünstigen im Vorbeigehen zu, bevor ich hundemüde im Bad verschwand.

„Gute Nacht, Liz“, ertönte es gleichzeitig aus ihren Mündern.

Ich wusch mich, schlüpfte in meinen seidigen Schlaf-Shorty und schlurfte durch den Flur zu meinem Zimmer. Im Raum nebenan war gedämpfte Musik zu hören. Ich überlegte kurz, ob ich vielleicht anklopfen und mich vorstellen sollte, wo wir jetzt sozusagen direkte Nachbarn waren. Eine gewisse Neugier spielte dabei natürlich ebenso eine Rolle. Allerdings verwarf ich den Gedanken gleich wieder, weil ich nicht aufdringlich erscheinen wollte. Irgendwann würden wir uns sicher kennenlernen. Red konnte ja nicht ewig wie ein Phantom durch das Appartement geistern.

Seufzend öffnete ich die Tür zu meinem Reich und ließ sie mit einem leisen Klick ins Schloss fallen. Es war viel schöner geworden, als ich gedacht hatte und stand in keinem Verhältnis zu der schmuddeligen Unterkunft, die ich wochenlang bewohnt hatte. Alles roch herrlich frisch und die türkisfarbenen Sitzsäcke bildeten einen wundervollen Kontrast zu den weißgrauen Möbeln. Die Lichter der Stadt schimmerten kunterbunt durch die Fensterfront und der leichte Wind, welcher von der halbgeöffneten Terrassentür aus ins Zimmer wehte, bewegte sanft die hauchdünnen Gardinen.

Endlich zu Hause …

Erschöpft aber glücklich kroch ich in mein Bett. Kaum zu glauben, dass ich am Anfang der Woche noch resigniert sämtliche Zeitungen nach bezahlbarem Wohnraum durchsucht hatte. Und jetzt das hier. Mit einem seligen Glucksen sah ich mich nach allen Seiten um. Es war perfekt und ich fühlte mich unsagbar wohl. Der erste, kleine Traum war in Erfüllung gegangen – meine eigenen vier Wände. Als ich das Licht löschen wollte, heftete sich mein Blick auf die Kommode neben der Tür.

Campari?

Verwundert erhob ich mich von der Matratze und ging rüber zu dem halbhohen Schrank, auf welchem die Flasche mit dem leuchtend roten Inhalt stand. Darunter klemmte ein Zettel mit energischer Handschrift und daneben lag ein winziges Tütchen mit zwei Ohrenstöpseln.

Komisch …

Ich zog das Papier unter der Flasche hervor und las.

 

Für den mit Abstand süßesten Arsch vom Melrose!

 

Wenn es dir zu laut werden sollte, nimm einen ordentlichen Schluck aus der Flasche und steck dir die Dinger in die Ohren. Brandon schwört darauf.

 

Willkommen beim Rat Pack!

 

Jack


Ende der Leseprobe

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