Not Over You

Erschienen am 11.06.2020


Klappentext

**Wir beide. Du und ich. Ein letztes Mal.**

 

Hayleys Leben könnte nicht besser laufen. Sie ist 23, eine aufstrebende Fotografin in New York und steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem bodenständigen Verlobten Dean. Doch dann trifft sie nach ihrem Junggesellinnenabschied auf ihre erste große Liebe Noah, der einige Jahre zuvor von jetzt auf gleich aus ihrem Leben verschwunden ist. Er gesteht Hayley, dass er nie aufgehört hat sie zu lieben, und bittet sie um ein allerletztes Date, bevor sie zum Altar schreitet ...


Leseprobe

Kapitel 1 - Pretty in Black & Pink

"Hayyy...leyyy ... wuhuuu", kreischte es um mich herum, während ich den x-ten Greenshot herunterkippte, das Gesicht verzog und mich schüttelte. Angeekelt knallte ich das Glas falsch herum auf den von Getränkepfützen, Glitzerkonfetti und leeren wie vollen Flaschen übersäten Stehtisch. Anna und ich hatten uns zwischenzeitlich ein paar Barhocker organisiert, während Bridget und Chloé weiter ihren hohen Schuhen trotzten und tanzten, wo sie gerade standen. 

Die Hälfte meines Gefolges hatte bereits schlappgemacht. Nach diversen Barwechseln war nur noch der Harte Kern um mich herum versammelt: meine besten Freundinnen, die ich bereits seit der Schulzeit kannte.

Der unverkennbare Sound des Infinity-Clubs dröhnte mir in den Ohren. Alles zappelte und bewegte sich zur basslastigen Musik. Mein Kopf schwirrte, was zweifellos an den vielen Greenies - Wodka mit einem Schuss giftgrünen Waldmeistersirup - lag, die ich in den vergangenen Stunden getrunken hatte. Ein Kuss für eine Unterschrift und danach ein Shot zum Desinfizieren. Wer Freunde wie ich hatte, brauchte keine Feinde mehr. Das Schild mit dem Spezialangebot war am tiefen Ausschnitt meines schwarz-weißen Bunnykostüms befestigt. An einem Band, das um mein Handgelenk geknotet war, baumelte ein schwarzer Permanentmarker und auf meiner Haut befanden sich eine Menge Unterschriften, die ich wohl sobald nicht wieder loswerden würde. Hätte ich vor ein paar Stunden auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt, was noch alles auf mich zukommen würde, wäre die nette Party auf Annas Dachterrasse ganz schnell wieder für mich vorbei gewesen. Doch sie hatten mich bewusst hinters Licht geführt und im Glauben gelassen, mir meinen Wunsch nach einem gemütlichen Sit-in zu erfüllen.

Wie schön, war mein erster Gedanke gewesen, während mein Blick über die mit unzähligen kleinen Lämpchen und Windlichtern romantisch arrangierte Dachterrasse geschweift war und sich dann der Reihe nach auf die kleine Gesellschaft gerichtet hatte. Bridget, Chloé, Anna, Cathy, meine Lieblingskolleginnen Helen, Keira und Laura.

Genau so hatte ich mir meinen Junggesellinnenabschied vorgestellt. Eine vergnügte, gemütliche Runde ohne viel Tamtam und den ganzen Zirkus, der normalerweise in diesem Zusammenhang praktiziert wurde. Nur wir acht, gute Getränke und köstliches Essen vom besten Caterer der Stadt - einfach herrlich. Sie hatten weder Kosten noch Mühen gescheut und das alles, um mich stilvoll als Bride to be zu feiern.

Anna füllte unsere Gläser mit dieser unglaublich leckeren Prickelbrause nach, stieß einen Prost auf unsere Freundschaft aus und verschwand kurz aus unserem Sichtfeld, was bedeutete, dass sie eine recht große Entfernung zurücklegte, weil ihr Penthouse wirklich riesig war. All den Luxus konnte sie sich als Anwältin einer der größten Kanzleien New Yorks locker leisten und ich gönnte es ihr von Herzen, weil sie verdammt hart dafür gearbeitet hatte und es tagtäglich immer noch tat.

Als sie zu uns zurückkehrte, zog sie zu unserer Überraschung  - oder viel mehr zu meiner - einen smarten Typ im schicken Anzug an seiner Krawatte hinter sich her, der einen großen Strauß Rosen in verschiedenen Rot- und Rosatönen in der Hand hielt. Offensichtlich war er nicht allein gekommen, denn zwei ähnlich gekleidete, äußerst attraktive und gepflegte Kerle tauchten hinter ihm auf. Einer trug lässig eine Magnumflasche Champagner unterm Arm. Der andere hatte einen Geschenkkarton mit einer großen pinken Schleife dabei. Alles in allem irgendwie doch ganz nett.

"Darf ich vorstellen?", lächelte sie breit in die Runde und blieb vor uns stehen. "Ich war so frei, meine Kollegen Luke, Neil und Preston einzuladen", stellte sie die Herren der Reihe ihres Erscheinens nach vor und ließ die Krawatte von Ersterem los. "Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen."

Kollektives Kopfschütteln. Bloß mir klappte die Kinnlade herunter. Ich wusste absolut nicht, was ich davon halten sollte, wollte aber auch keine Spielverderberin sein und sagen, dass ich diesen Abend lieber mit den Mädchen allein verbracht hätte.

Nach einem freundlichen "Hallo" in die Runde, das ziemlich flirty rüberkam, und mit vielerlei Getuschel seitens meiner Freundinnen einherging, kamen die Herren gezielt auf mich zu. Großartig!

"Du bist also die zukünftige Braut", sagte der schwarzhaarige Luke mit den mandelförmigen, dunklen Augen und schenkte mir ein Lächeln, das zwei Reihen strahlendweiße Zähne preisgab. "Auf einen schönen Abend, Hayley", Er drückte mir den Blumenstrauß in die Hand und machte Platz für den nächsten.

Ich konnte absolut nichts sagen, bloß überfordert gucken.

"Schön, dich kennenzulernen." Der dunkelblonde Neil drückte mir einen Kuss auf die Wange. "Wirklich eine Schande, dass du vom Markt verschwindest, bevor wir uns richtig kennenlernen konnten." Die Magnumflasche parkte er auf dem Stehtisch seitlich von mir. 

Last but not least war es an Preston, sich vorzustellen, dessen Erscheinung mir einen leichten Stich versetzte. Dunkle, gewellte Haare, Dreitagebart und ein Blick, der verboten gehörte.

"Hi", sagte er schlicht und überreichte mir den relativ großen Geschenkkarton. "Anna meint, du solltest gleicht nachsehen, was drin ist."

"So, meint sie das ...", erwiderte ich skeptisch und warf der Gastgeberin an Prestons breiten Schultern vobei einen bösen Blick zu.

Anna grinste, hob ihr Glas, zwinkerte mir zu und trank einen Schluck Champagner.

Ich atmete tief durch, dann wandte ich den Partycrashern den Rücken zu. um das Paket abzustellen und es zu öffnen.

Beim Anblick der pinken Arbeitsoveralls und des schwarzen Bunnykostüms fiel mir restlos alles aus dem Gesicht. Und als wäre das noch nicht schlimm genug gewesen, wechselte im selben Moment die entspannte Hintergrundmusik zu einem durchdringenden Beat, der mich Übles erahnen ließ. Das bestätigte sich auch sogleich, als ich aus den Augenwinkeln bemerkte, wie sich die Arme des zurückhaltenden Preston von hinten um meine Taille wickelten, sich sein Körper extrem eng an mich presste und in einem lasziven Rhythmus bewegte, während um mich herum wildes Gekreische ausbrach.

Stripper waren so ziemlich das Letzte gewesen, was ich mir für diesen Abend gewünscht hatte. Ganz zu schweigen von dem Bunnykostüm, das ich nun am Körper trug.

"Voosischt", nuschelte mir Chloé, ein leicht durchgedrehter Klonversuch von Meg Ryan und Amanda Seyfried mit widerspenstigen Locken auf dem Kopf, ins Gesicht. "Tu velliest dei...nö Öschen." Sie grinste schief und schielte dabei unkontrolliert. Wegen ihrer verschmierten Wimpertusche sah sie ein bisschen aus wie ein Panda im pinken Arbeitsoverall mit kognitiven Einschränkungen. Die Aufschrift 24h Abschleppdienst glitzerte im Schein der Spotlights auf ihrer Brust. Unbeholfen nestelte sie an meinen Hasenohren herum. "Bessher!", zwinkerte sie mir zu, machte einen Ausfallschritt nach hinten und prallte ungebremst gegen einen Dunkelblonden Hipster, der mit seinen Begleitern gerade den Club verlassen wollte, dessen Ein- und Ausgang sich schräg gegenüber von unserem Tisch befand. "Ups! Sorrey", kicherte unser Goldlöckchen. 

"Alles okay", fragte er skeptisch.

Chloé drehte sich um und bekam Sternchenaugen, während sie nickte. 

Tu das n-. Ehe ich den Gedanken zu Ende bringen konnte, krabbelten ihre Finger mit den pink lackierten Nägeln flink wie eine Spinne über seine Brust Richtung Bart und kraulten selbigen.

"Schöna Baat", murmelte Chloé. Sie schaute grinsend zu ihm auf. "Ast du ... übeall so weische Haare?"

Die Männertruppe lachte, bloß der Hipster hielt sich ein wenig zurück. Sichtlich amüsiert ergriff er Chloés Hand und hauchte einen Kuss darauf. Gleich danach fiel sein Blick auf mich, beziehungsweise den Stift, der an mir befestigt war. "Darf ich?", fragte er mit sonorer Stimme.

"Warum nicht?!" Schließlich hatten mich meine Freundinnen für diese Nacht zum Kussfreiwild erklärt. Da konnte ich bei ihm schlecht Nein sagen.

Zu meiner Überraschung nahm er jedoch nur den Edding, zog die Kappe ab und Chloé ein bisschen näher an den Permanentmarker heran. Carl schrieb er auf ihren Unterarm und gleich darunter eine Handynummer. "Ruf mich an, wenn du wieder nüchtern bist, und finde es selbst heraus."

Chloé starrte ihn mit großen Augen überrascht an. Eigentlich taten wir das in diesem Moment alle.

Unterdessen steckte Carl tiefenentspannt die Kappe auf den Stift, ließ ihn los, zwinkerte mir zu und verließ mit seiner Truppe die Location.

Sie waren noch nicht ganz außer Hörweite, da brach auch schon Kreischalarm aus.

"Wie süß!", schrillte es neben mir ungewohnt euphorisch.   

Anna war die Vernünftigste und Bodenständigste von uns und generell nicht leicht zu beeindrucken. Normalerweise pflegte sie lockere Businesskleidung und ihren dunklen Pagenkopf akribische geglättet zu tragen, was den strengen Look zusätzlich unterstrich und sie unweigerlich zu einer Blutsverwandten von Cleopatra und Anna Wintour machte. In schärfer. Und jünger. Und eisiger. Doch in dieser Nacht existierte scheinbar keine Normalität.

"Ich liehi be in", nuschelte Chloé.

"Eindeutig schockverliebt", stellte Anna kichernd fest.

"Morgen liebst du ihn nicht mehr", sagte Bridget, deren Stammbaum ohne Frage mit dem von Julia Roberts und Helena Bonham Carter verästelt war. "Du kannst Hipster nicht ausstehen und Bartträger sowieso nicht."

"Hihi - habbisch vergessn."

"Die ist durch", kam es von Anna. "Wer bringt das unkontrollierbare Ding nach Hause, bevor es sich einen irreversiblen Hirnschaden trinkt?"

"Na, wer wohl?!"

Obwohl Bridget Kummer mit ihrer lebenshungrigen Mitbewohnerin gewohnt war, verdrehte sie kopfschüttelnd die braunen Augen. Ihr pinkfarbener Glitzerlidschatten war total verwischt. Das Zeug klebte auf den Schläfen und Wangenknochen. Nicht schön, aber gut sahen wir alle nicht mehr aus. 

"Komm schon, du anstrengendes Stück. Bridge ergriff Chloés Arm die gerade entgegen der Rhythmen des durchdringenden Beats in inniger Umarmung mit sich selbst tanzte, und schleifte sie hinter sich her zum Ausgang. "Bye, Ladys, wir sehen uns morgen zum Katerbrunch."

Die beiden waren noch nicht ganz außer Sichtweite, da griff eine gepflegte Männerhand nach dem an mir befestigten Stift. "Hast du noch irgendwo Platz?" Die Stimme klang nervös, irgendwie herzerwärmend, und ich drehte mich um, damit ich mir ein Bild von ihm machen konnte.

Der Kerl war groß und breit, hatte zerzauste blonde Haare und blaue Augen. Trotzdem hätte ich jede Wette darauf abgeschlossen, dass er sich mit einem gefälschten Ausweis Zutritt in den Club verschafft hatte. Siebzehn allerhöchstens achtzehn. Älter konnte er nicht sein. 

"Keine Ahnung." Ich kehrte ihm den Rücken zu. "Vielleicht da hinten irgendwo?"

Einige Sekunden verstrichen, dann spürte ich, wie meine langen Haare behutsam zur Seite geschoben wurden und in meinem Nacken der feuchte Filzstift für eine Unterschrift ansetzte.

Als der junge Typ fertig war, drehte ich mich wieder um und wappnete mich innerlich für einen ungestümen, übergriffigen Kuss, doch zu meiner Überraschung berührten mich seine Lippen lediglich auf der Wange.

"Bye", sagte er verlegen.

Wie niedlich ...

Ich lächelte nur, erwiderte nichts darauf, bis ich einige Jungs seines Alters im Hintergrund bemerkte, die sich augenscheinlich über seine Unsicherheit lustig machten, und mir wurde klar, dass seine Höflichkeit tagelangen Spott zur Folge haben würde. Das Leben in der Highschool konnte knallhart sein, wenn man nicht in typische Klischeemuster passte.

"Warte", sagte ich spontan, griff nach seinem Arm und hielt ihn davon ab, vorschnell zu seinen Freunden zurückzugehen. In dieser Nacht war ich bereits von so vielen Männern geküsst worden, da kam es auf ihn auch nicht mehr an, und zwei unberührte Greenies standen ohnehin noch auf dem verklebten Tisch.

Ich packte Blondie am Kragen seines Shirts, zog ihn ein wenig zu mir heran und küsste ihn hollywoodreif - ohne Zunge versteht sich -, wie es von seiner Boygroup erwartet worden war. Aus dem Gelächter wurde erstauntes Getuschel. 

"Wowähm", stammelte er fassungslos, nachdem ich ihn losgelassen hatte. 

"Kein Problem", zwinkerte ich ihm zu.

Er ging zu seiner Truppe zurück und wurde schulterklopfend in Empfang genommen. So schnell konnte man vom Loser zum Helden mutieren.

Anna stupste mich mit ihrem Ellenbogen an und ich wandte mich wieder meiner Freundin zu. Auffordernd wedelte sie mit den letzten beiden Shots. Ich nahm einen davon und setzte sogleich zum Trinken an. Als sich unsere Blicke erneut begegneten, standen die leeren Gläser vor uns auf dem Tisch.

"Was ist? Hauen wir ab?", fragte Anna. "Die Luft ist raus und meine Schuhe bringen mich um."

Ich schaute runter auf meine Füße, die in grottenhässlichen, pinkfarbenen Lackpumps mit zwölf Zentimeter hohen Plateauabsätzen steckten. "Besonders bequem sind die Rotlichtteile, die ihr mir passend zu euren Overalls aufgezwungen habt, jetzt auch nicht."

"Ich kenne den Blick." Sie kicherte. "Eines Tages wirst du dich rächen."

"Gnadenlos und unerwartet", zwinkerte ich ihr mit vielsagender Miene zu. Sie sollte ruhig wissen, dass die Bunnyaktion nicht ungestraft bleiben würde.

"Es ändert wohl nichts, wenn ich dir sage, dass du die Pornoschuhe meinetwegen nicht hättest tragen müssen?"

"Wer hat die Stripper engagiert und mein Kostüm ausgesucht?", antwortete ich mit einer Gegenfrage.

"Ich?"

"Wer ist auf die Idee mit dem Scheißedding gekommen?"

"Ich?"

"Dann stehst du ganz oben auf meiner Liste."

"Das habe ich befürchtet", schmunzelte Anna. "Bereit?"

"Müssen wir noch irgendwas bezahlen?"

Sie schüttelte den Kopf. "Nein, Bridge hat das vorhin schon erledigt."

"Okay, dann lass uns abhauen. Ich bin froh, wenn ich die Klamotten ausziehen und endlich duschen kann."

Wir ließen den verklebten Tisch hinter uns und steuerten auf den Ausgang zu.

"Duschen allein wird da kaum helfen." Anna hakte sich bei mir ein. "Aber du könntest Dean wecken, damit er dich abschrubbt."

"Der niedliche Nerd in ihm lässt das einfach nicht zu. Mit Spontanität ist er überfordert, du kennst ihn doch. Ohne Terminkalender läuft bei ihm gar nichts."

"Nicht mal eine kleine Schaumparty unter der Dusche?"

"Nicht einmal die."

Das Display meines Smartphones zeigte 4:30 h. Draußen auf den Bürgersteigen herrschte reges Treiben, zumal aus dem Metamorphosis schräg gegenüber ebenfalls scharenweise Menschen strömten. Der Run auf die Taxis war immens und wir brauchten zwei, weil wir in entgegengesetzte Richtungen mussten. Das Luxusappartement meiner Freundin befand sich in der New Yorker Upper East Side, Dean und ich hingegen lebten im Sunset Park in Brooklyn.

"Scheiße! Hier geht´s ja zu, wie beim Black Friday", stöhnte Anna. "Aber, wenn ich mich beeile, kann ich die torkelnde Geschmacksverirrte da vorne ausschalten." Zur Verabschiedung küsste sie mich flüchtig auf die Wange und ließ mich los. "Wir sehen uns morgen. Pass auf dich auf!"

"Und du auf dich."

"Du kennst mich doch."

Anna eilte zielstrebig zum Rand des Bordsteins und nutzte ihre Chance auf ein Taxi ohne lange Wartezeit, indem sie einer Brünetten, die sich umständlich in einem mindestens eine Nummer zu kleinen Stretchkleid und viel zu hohen High Heels fortbewegte, kurzerhand die Clutch aus der Armbeuge schubste und ihr den Wagen einfach vor der Nase wegschnappte. Typisch Anna. Das Gezeter war zwar groß, aber dem Fahrer schien es egal zu sein und meiner Freundin sowieso. Amüsiert streckte sie den Kopf aus einem halb geöffneten Fenster des abfahrenden Yellow Cabs und winkte mir über die gebückt schimpfende Brünette hinweg mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu.

Kopfschüttelnd sah ich ihr nach.

Da ich nicht wie Anna tickte, machte es für mich wenig Sinn, vor dem Infinity auf einen fahrbaren Untersatz zu warten. Erfahrungsgemäß bekam ich zwei Blocks weiter schneller ein Taxi, wobei ich mir nicht sicher war, ob mich überhaupt irgendein Fahrer in meinem ramponierten Bunnyoutfit mitnehmen würde. Aber einen Versuch war es wert. Und ich musst sowieso von den Angetrunkenen, teils fast schon komatös Besoffenen weg. Gefühlt packte mir im Vorbeiquetschen jeder zehnte an den puscheligen Stummelschwanz und drückte mir einen unterirdischen Spruch. Obwohl ich selbst einen gewaltigen Schwips hatte, nervten mich die platten Anmachen gewaltig.

Nachdem ich mich mit ausgestreckten Ellbogen durch das Gedränge und Geschubse gekämpft hatte, streifte ich die Schuhe von den Füßen, nahm die hässlichen Dinger in die Hand, wackelte mit den Zehen und stöhnte erleichtert auf - ein herrlich befreiendes Gefühl. Gleich danach wühlte ich in meiner Umhängetasche herum und fand schließlich in einem Seitenschlitz, wonach ich gesucht hatte. Zufrieden seufzend steckte ich mir eine Veilchenpastille in den Mund. Meine ganz persönliche Droge. Es gab einfach nichts Besseres zum Entspannen. 

Die Luft war schwül. Weit in der Ferne ertönte leises Gewittergrollen. Ich reckte die Nase nach oben und atmete tief durch. Dichte Wolken in unterschiedlichen Grauschattierungen hingen schwer am Himmel, hoben sich von der Schwärze der Nacht ab und prompt benetzten die ersten warmen Tropfen mein Gesicht. Ich liebte den Regen. Wasser war mein Element. Lächeln, mit geschlossenen Lidern und gekräuselter Nase wartete ich darauf, dass sich die ersten kleinen Rinnsale auf meiner Haut bildeten, drehte mich einmal um mich selbst, öffnete die Augen und setzte meinen Weg langsam fort.

"Hayley?"

Ganz schwach glaubte ich meinen Namen über dem Geräuschpegel des Stimmenwirrwarrs und der an- und abfahrenden Autos gehört zu haben. Ich hielt inne.

"Hayley?"

Eine Männerstimme. Eindeutig. Ich drehte mich um, schaute auf hunderte von Menschen, suchte die Menge nach demjenigen ab, der meinen Namen gerufen hatte, konnte aber niemanden ausmachen, der sich von der Vielzahl abhob und zu mir herübersah.

Als ich bereits im Begriff war, mich abzuwenden, streifte mein Blick eher zufällig den Pulk auf der gegenüberliegenden Seite und heftete sich auf einen großen dunkelhaarigen Mann, der gerade in ein Taxi steigen wollte und mich zu sich winkte. Schlagartig rutschte mir das Herz in die schwarze Netzstrumpfhose.

Das kann nicht sein ...

Tief durchatmend wandte ich mich ab und eilte dem nächsten Block entgegen, um den Abstand zwischen uns zu vergrößern. Ich konnte nicht denken, achtete lediglich darauf, dass ich keinen Laternenfahl mitnahm und meine schuhlosen Füße in nichts Ekliges hineintraten.

Hektisch schaute ich nach rechts und links. 9th Street. Die Straße war menschenleer und keine Scheinwerfer in Sicht.

Mist!

Ich flog förmlich über die Fahrbahn und hastete dem nächsten Block entgegen.

"Hayley!"

Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte ich. Spätestens jetzt war ich mir absolut sicher, mich nicht geirrt zu haben.

Noah ...

Meine Schritte wurden schneller. Mit etwas Glück schaffte ich es vielleicht vor ihm den nächsten Straßenblock zu erreichen, und mit noch etwas mehr Glück würde ich direkt einen gelben Wagen erwischen und dem Mann, den ich selbst nicht hätte sehen wollen, wenn er der letzte Mensch auf diesem Planeten gewesen wäre, entkommen. Mein Puls raste, als würde ich einen Marathon laufen. Das irre daran: Der blöde Muskel in meiner Brust fühlte sich zweigeteilt an. Ein Teil wollte mich daran hindern weiterzugehen, der andere trieb mich zu noch größerer Eile an.

Der Regen nahm zu. Normalerweise wäre ich längste stehen geblieben und hätte jeden einzelnen Tropfen auf meiner Haut genossen, doch wenn mitten in der Nacht völlig unerwartet ein unliebsamer Schatten der Vergangenheit aus der Versenkung kroch, hebelte dieser Umstand die Gesetzmäßigkeit der Normalität aus.

Ich hatte Glück. Teilweise. Noch bevor Noah mich einholen konnte, erreichte ich die 10th Street und sah zwei Yellow Cabs herannahen. Sogleich rechte ich die Hand mit den hässlichen Schuhen in die Höhe. Pfiff mit der anderen auf zwei Fingern. Winkte. Vergeblich. Beide fuhren an mir vorbei. Der zweite Wagen nahm lediglich eine Dreckpfütze mit und nötigte mich zu einem Ausweichmanöver, das mich gegen einen harten Männerkörper katapultierte, dessen Arme sich um meine Taille schlangen, um mich aufzufangen.

Ein leises Lachen erklang - ein Lachen, das mein Herz mit einem Strick aus stechenden Stacheldrahtfasern umwickelte und schmerzhaft zusammenschnürte. Fast fünf Jahre waren vergangen, seit er mich ein paar Monate nach meinem 18. Geburtstag verlassen und mir das Herz zerfetzt hatte.

"Schön, dich zu sehen, Fields."

 


Ende der Leseprobe

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